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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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nichts anderes übrigblieb, als zu solchen Machenschaften zu greifen. Er setzte eben zu einer unwilligen Antwort an, als ein Besucher polternd hereinplatzte. Von bulliger Gestalt und mittlerer Größe, verströmte er den Dunst nach ranzigem Wollfett und Heringsfässern.
    »Kapitän Ballard! Gott grüße Euch!«
    »Das wünsch ich Euch auch, Herr de Fine«, knurrte Ballard zurück und stemmte die Arme in die Seiten. »Dass Ihr Euch an meinen Namen erinnert, nehme ich als gutes Zeichen. Ihr wisst also, dass es mich und meine Männer noch gibt.«
    »Setzt Euch. Setzt Euch«, sagte Colard besänftigend und gab Joris einen Wink. »Ruf eine Magd. Sag ihr, sie soll Wein und einen Imbiss bringen.«
    »Ich bin nicht gekommen, mit Euch zu schmausen, de Fine«, lehnte der Kapitän die Einladung brüsk ab. »Ihr wisst genau, was ich will. Arbeit. Aufträge. Eine Fahrt, die mich und meine Männer auf das Meer hinausführt und nicht nur von Brügge nach Sluis. Wir sind keine Kanalratten, wir sind Schiffer.«
    John Ballard fuhr, seit er zum Kapitän aufgestiegen war, für das Haus Cornelis. Inzwischen befehligte er seit vielen Jahren das letzte der Rundschiffe, das von der einst so erfolgreichen Handelsflotte geblieben war.
    »Macht es nicht mir zum Vorwurf, dass die Kaufleute von Brügge ihre Fernreisen und die Schifffahrt weitgehend eingestellt haben«, antwortete Colard nüchtern. »Wir haben es nicht mehr nötig, unsere Waren in Toledo und Venedig zusammenzusuchen. Sie werden uns nach Brügge gebracht.«
    Kapitän Ballard zog die Stirn in Falten. Wie Joris spürte er den unaufhaltsamen Abstieg des Handelshauses in seinen Knochen. Er benötigte gar keine greifbaren Beweise. Colard de Fine und Ruben Cornelis hatten in seinen Augen nicht das Format ihrer Väter und schon gar nicht das des Großvaters.
    »Und was ist mit dieser Reise nach Lissabon? Sie war fest eingeplant.«
    »Die Zeiten sind schwer, Kapitän. Nicht alle Pläne kommen zur Ausführung.«
    »Der junge Herr Ruben will in Portugal Pelze aus dem hohen Norden und feines Brügger Wolltuch gegen Öl, Gewürze und …«
    Colard unterbrach die Aufzählung mit einem Schnauben. Der Kapitän hatte ja recht und wusste dabei noch nicht einmal, dass Ruben die letzte eiserne Reserve ihrer Finanzen an den Herzog von Burgund verschwendet hatte.
    »Ihr kennt meinen Vetter, Kapitän. Seine Pläne ändern sich wie das Wetter«, sagte er.
    Die Magd mit dem Wein und dem Imbiss erschien, aber Ballard verweigerte beides.
    »Zum Donner, meine Männer und ich sind es leid, Eure stinkenden Wollballen und Weinfässer über den Kanal und den Fluss zu schaukeln, de Fine. Wenn Ihr bis zum Ende des nächsten Monats nicht eine vernünftige Handelsreise auf die Beine stellt, dann kündigen wir Euch den Dienst auf.« Zwischen Colards Händen zerbrach leise knackend eine Schreibfeder.
    »Wollt Ihr mir drohen? Das Schiff gehört dem Haus Cornelis, Kapitän. Ihr könnt es mit Euren Matrosen jederzeit verlassen. Niemand hält Euch.«
    »Ich hab's nicht nötig zu drohen, de Fine. Ihr wisst genau, dass die Koralle mein Schiff ist. Ruben hat sie mir überschrieben.«
    Colard wurde bleich. Seine Fäuste ballten sich auf dem Tisch.
    »Wann?«
    »Im vergangenen April. Hat er nicht mit Euch darüber gesprochen?«
    Kapitän Ballard las die Antwort im Gesicht des Kaufmanns. Colard seinerseits entdeckte das Mitleid in dessen Blick. Es machte ihn noch wütender, als er es ohnehin schon war.
    »Macht es nicht anderen zum Vorwurf, wenn die Dinge zwischen Ruben und Euch so gediehen sind, dass Ihr nicht mehr wisst, was er tut«, hörte er den Kapitän schließlich antworten. »Sein Vater und der Eure würden sich im Grab umdrehen, wenn sie wüssten, was Ihr aus den weltweiten Geschäften des Hauses Cornelis gemacht habt. Die beiden sind nicht im Kontor sitzen geblieben, wenn die Dinge schlecht standen. Sie haben sich selbst um neue Aufträge und Lieferungen gekümmert.«
    »Ruben nimmt an der Hochzeitsfeier des Herzogs in Gent teil«, antwortete Colard, ohne die herausfordernde Bemerkung des Kapitäns zu kommentieren. »Ehe er nicht zurück ist, fällt keine Entscheidung. Ihr werdet Euch wohl bis dahin gedulden müssen. Und einen Rat von mir, Kapitän: kein falsches Wort über diese Angelegenheit im Minnewaterhafen.«
    »Was denkt Ihr von mir?«, brauste Ballard auf. »Bis zum Ende des nächsten Monats. Behaltet die Frist im Auge! Gehabt Euch wohl.«
    Colard ersparte es sich, den Gruß zu erwidern, als der Kapitän

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