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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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mit der Lilie wie ein Goldflorin dem anderen, als hätte sie dem Maler Modell für dieses Bild gestanden. Woher kam diese verblüffende Ähnlichkeit?
    Er legte das Bild nachdenklich in die nächststehende Kleidertruhe. Er wollte es aus dem Blick haben.

10. Kapitel
    L ILLE , 7. J ULI 1369
    Sie waren ihm auf der Spur.
    Domenico Contarini zweifelte nicht länger daran. Sein Instinkt trog ihn nur selten. Ohne das verlorene Hufeisen kurz nach Arras wäre er seinen Verfolgern vielleicht entkommen. Aber nun saßen sie ihm so dicht auf den Fersen, dass er seine Pläne ändern musste.
    Der Beutel mit den indischen Diamanten brannte förmlich ein Loch in seine Taschen. Nur zehn Stück, drei davon so groß wie ein Taubenei, die anderen nur halb so groß, aber alle zusammen so klar wie reines Wasser. Seltene Kostbarkeiten von immensem Wert. Schon die alten Griechen hatten die Unbezwingbarkeit dieser Steine gerühmt und ihnen den Namen Adamant gegeben. Für Domenico waren sie eine Last. Ein Vermögen, das den mächtigsten Mann von Venedig vernichten konnte.
    Das war Andrea Contarini, Domenicos Onkel. Seit zwei Jahren der gewählte Doge der Republik Venedig. Das Amt verbot ihm den Besitz auswärtiger Güter, untersagte seinen Angehörigen die Annahme eines Staatsamtes und seinen Söhnen und Töchtern die Einheirat in auswärtige Familien. Der große Rat, den die einflussreichen Familien der Stadt bildeten, wachte streng über das private und öffentliche Leben eines Dogen. Wenn bekannt wurde, dass sein Onkel auch nach seiner Wahl Geschäfte im Königreich Frankreich abgewickelt hatte, würde dies einen Skandal entfachen, dessen Folgen auch das Bankhaus in Brügge ins Verderben reißen konnten. Um jeden Preis musste das verhindert werden.
    Es hatte Domenicos ganzer Findigkeit bedurft, die Spuren seines Onkels in Paris zu verwischen. Mit Hilfe der Kontakte, die ihm sein jüdischer Freund Abraham bei seinen Glaubensbrüdern vermitteln konnte, war es ihm gelungen, die beträchtlichen Gewinne des Dogen in unverfängliche Steine einzutauschen und alle belastenden Papiere zu vernichten. Diamanten hatten den Vorteil, dass man ihnen ihre Herkunft nicht ansah.
    Die in seiner Tasche stammten angeblich direkt aus der königlichen Schatzkammer, denn Seine Majestät hatte immer größere Probleme, die Söldnertruppen zu bezahlen, die für ihn kämpften. Ihr ungewöhnlicher Schliff bewies, dass sie einst Teil eines gefassten Geschmeides von spektakulärer Schönheit gewesen sein mussten.
    Bis er in Arras die beiden zwielichtigen Gestalten entdeckt hatte, die ihm folgten, war er davon ausgegangen, dass er mit den Diamanten sowohl die Bank wie den Kopf seines Onkels gerettet hatte.
    Seine Verfolger agierten geschickt und skrupellos. Es war nur dem Zufall zu verdanken, dass sie ihm aufgefallen waren. Zweifellos verfolgten sie die Spur der Steine, oder sie suchten die Papiere, die er längst vernichtet hatte. In jedem Fall musste er sie abhängen.
    Die große Herberge an der Straße nach Ypern, wo sich die Handelswege aus dem Süden und aus dem Westen des Königreiches trafen, die er normalerweise lieber gemieden hätte, verschaffte ihm vielleicht eine Möglichkeit dazu. Kurz vor Sonnenuntergang quoll der Hof von Menschen, Tieren, Fuhrwerken und Karren über. Domenico versuchte das unheilvolle Prickeln in seinem Nacken zu ignorieren, während er sein Pferd unterstellte und sich auf die Suche nach dem Wirt des Hauses Zum Goldenen Stern machte.
    In der Schankstube saßen die Menschen dicht gedrängt an langen Tischen. Eine Gruppe Söldner belagerte den Bratspieß, Fuhrknechte, Handelsleute und Bewaffnete stritten um die letzten freien Plätze. Die Luft war zum Schneiden dick. Bratendüfte, Schweiß und Leder mischten sich mit dem Rauch der Feuerstellen und dem Gestank der Essensreste, die unter den Tischen im Stroh landeten.
    Meister Calmette, der Wirt des Gasthofes, hatte es augenscheinlich längst aufgegeben, für Ordnung zu sorgen. Die Hände über dem Wanst gefaltet, dirigierte er lediglich den Nachschub, den seine Mägde für die hungrigen Mägen und durstigen Kehlen herbeischleppten.
    »Keine Kammer, kein Strohsack. Nicht einmal ein Platz im Stall. Es tut mir leid, Seigneur. Die Messen in Troyes sind zu Ende. Jedermann ist auf dem Rückweg nach Brügge, Gent und Antwerpen. Der Goldene Stern ist bis unter das Dach belegt.«
    »Die großen Betten auch?«
    Domenico verspürte zwar keine Lust, sich mit fünf anderen Männern einen Alkoven zu

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