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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Ihr Eure Reise fortzusetzen, Andrieu?«, fragte er beiläufig, während er die leere Holzschale zurückschob und nach seinem neu gefüllten Weinbecher griff.
    »Bei Sonnenaufgang«, teilte ihm Jean-Paul bereitwillig mit. »Wenn Euch der Lärm zu früher Stunde nichts ausmacht und Ihr eine saubere Decke besitzt, will ich gerne meine Kammer mit Euch teilen. Aber erhofft Euch nicht zu viel. Wir haben die Gesellschaft eines ganzen Heeres von Ungeziefer, und der Strohsack ist vermutlich an Lichtmess zum letzten Mal frisch gefüllt worden.«
    Domenico stellte befriedigt fest, dass er im Verlauf des Essens für ehrlich befunden worden war.
    »Ich hoffe, Ihr seht mir nach, dass ich auf dieses Angebot gehofft habe«, gestand er heiter. »Unser Herr Wirt hat mir verraten, dass er Euch seine Schlafkammer abgetreten hat und dass Ihr allein seid.«
    »Ich bezweifle, dass er in diesem Loch nächtigt«, schmunzelte Jean-Paul. »Aber es gibt einen Riegel an der Tür und ein Fenster, das Nachtluft hereinlässt. In Anbetracht der übrigen Gäste ein schätzenswerter Vorteil. Allein bin ich übrigens nur, weil es meine beiden Reitknechte vorgezogen haben, die Nacht bei unseren Pferden zu verbringen. Ich konnte sie nicht davon überzeugen, dass der Stall sicher genug ist. Der Trubel in dieser Herberge bringt sie auf die absurdesten Gedanken.«
    »Mit Recht«, erwiderte Domenico. »Ihr solltet froh sein, so aufmerksame Begleiter zu haben.«
    »Lasst es gut sein«, winkte Jean-Paul ab. »Erzählt mir lieber von Eurer fernen Stadt Venedig. Stimmt es, dass ihre Paläste auf hölzernen Säulen im Meer stehen und die Schiffe vor den Haustüren ankern können?«
    »Das Meer ist eine Lagune, die nicht allzu tief gründet«, erklärte Domenico. »Und die schmalen Kanäle zwischen den Häusern können nur von Gondeln und kleinen Lastkähnen befahren werden. Lediglich der große Kanal, der Canal Grande, ist für Schiffe geeignet. An seinem Ursprung liegt der Hafen der Stadt, direkt vor und neben dem Palast des Dogen. Die große Piazza vor dem Dogenpalast endet an einem Kai, den die Venezianer Mob nennen und an dem zu jeder Jahreszeit Schiffe aus aller Herren Länder ankern. Brügge erinnert ein wenig an Venedig.«
    »Ihr kennt Euch in Brügge aus?«
    »Die Niederlassung unserer Bank in Flandern ist dort beheimatet. Sicher auch wegen der Kanäle, die die Stadt durchziehen, aber vor allem wegen der unbestreitbaren Geschäftstüchtigkeit ihrer Bewohner. Womit die Ähnlichkeiten schon aufgezählt sind. Die Winter in Brügge sind abscheulich kalt, und sogar der Nebel, der dann vom Wasser aufsteigt, ist eisig und nicht mit den sanften Schwaden von la serenissima zu vergleichen.«
    »La … das müsst Ihr mir erklären?«
    »Serenissima heißt die Durchlauchtigste«, übersetzte Domenico. »Die Republik von Venedig hat ihrer Stadt diesen Ehrentitel verliehen, und sie wird häufiger so genannt als bei ihrem richtigen Namen.«
    Die interessierten Fragen seines Gesprächspartners ließen die Zeit schnell vergehen. Erst als Domenico neben ihm im Dunkel der Kammer lag und seinen regelmäßigen Atemzügen lauschte, beschäftigte er sich wieder mit seinen eigenen Problemen. Irgendwo dort draußen lauerten seine Verfolger.
    Der Lärm in der Gaststube war endlich verstummt, und auch auf dem Hof zwischen den Fuhrwerken wurde es still. Jean-Paul untermalte die Nacht mit einem leisen Schnarchen.
    Domenico beneidete ihn um seine Ruhe. Solange er den Beutel mit den Diamanten bei sich trug, fand er keinen Schlaf. Wenn es nur ein Versteck gäbe, in dem er die Steine wenigstens für die nächsten Tage in Sicherheit bringen konnte.
    Ein Versteck, so unverfänglich und ausgefuchst, dass nicht einmal seine Verfolger Verdacht schöpften. Der schlafende Mann an seiner Seite röchelte kurz auf und schnarchte dann weiter. Domenico kam es vor, als habe er eine Antwort erhalten. Die nächste Etappe ihrer Reise würden sie ohnehin auf demselben Weg erreichen. Zudem hatte Jean-Paul seine Knechte erwähnt. Sie würden gut beschützt und sicher reisen.
    Behutsam richtete er sich auf. Jean-Paul rührte sich nicht, während Domenico sein einziges Gepäckstück abtastete. Es handelte sich um einen ledernen Mantelsack, in dem er einige Kleidung und das Kästchen mit sich trug, das er überbringen sollte. Vorsichtig schälte der Venezianer es aus der Umhüllung und hätte vor Freude gerne gejubelt. Im blassen Licht des halben Mondes entdeckte er erst jetzt, dass es sich um eine kleine

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