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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Einzige, was es bei uns im Überfluss gibt.« Die merkwürdige Auskunft, gegeben mit einem erkennbaren Unterton der Missbilligung, forderte die nächste Frage geradezu heraus.
    »Wollt ihr damit sagen, dass unter diesem Dach ein Mangel an gewinnbringender Betätigung herrscht?«
    Joris kratzte sich umständlich unter seiner Kopfbedeckung und wich ihrem Blick aus. »Sprecht bitte mit Eurem Mann darüber, und bitte entschuldigt mich. Im Kontor wartet Arbeit.«
    Aimée sah dem Schreiber nach. Das Gespräch beunruhigte sie. Kurz entschlossen schlug sie die gut gemeinte Warnung, ihren Mann jetzt nicht zu stören, in den Wind und ging zum Stofflager.
    Die Tür war nur angelehnt. Sie schob sie einen kleinen Spalt auf und trat ein. Es roch wie in einer alten Kleidertruhe, nach ungelüfteter Wolle und Kampfer. Überlagert wurde der Geruch vom scharfen Gestank einer fremden Säure. Der Staub, den ihre Röcke beim Eintreten aufwirbelten, reizte ihre Nase. Sobald sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, fielen ihr die vielen leeren Bretter in den Regalen auf.
    Sie hörte Stimmen und wollte sich bemerkbar machen, aber Rubens scharfe Worte ließen sie zögern.
    »Beschränke dich auf deine Bücher und deine Zahlen und überlass mir die Politik, Colard. Der Herzog von Burgund wird mächtiger als der König von Frankreich sein, wenn er das Erbe seiner Frau antritt und über Burgund und Flandern herrscht.«
    »Hast du dich deswegen von ihm beschwatzen lassen, eine Frau zu heiraten, die so nützlich ist wie ein Pfau im Käfig?«, erwiderte Colard zornig. »Wird er dich gegen Anselm Korte verteidigen, wenn der seinen Einfluss geltend macht, um dich zu vernichten, wie er es geschworen hat? Er ist tödlich beleidigt, weil du seine Gleitje dem Spott preisgegeben hast.«
    »Das hat er schon selbst getan, weil er sein Maul nicht halten konnte«, erwiderte Ruben grob. »Vergiss den Alten und sieh nicht alles so schwarz. Die Zukunft ist unser.«
    »Du phantasierst, Ruben. Wie sollen wir die Schulden zurückzahlen, die wir bei Contarinis venezianischer Bank haben? Wie uns den Juden vom Hals schaffen, bei dem du in Gent das Gold für den Herzog geliehen hast? Er fordert Anteile an unserem Geschäft.«
    »Halt ihn hin. Er hat nicht die Macht, uns in Schwierigkeiten zu bringen.«
    »Teufel auch, du machst es dir zu leicht, Ruben. Abraham ben Salomon ist Domenico Contarinis rechte Hand, hast du das gewusst? Wenn sich der Jude mit Contarini zusammentut, können sie uns in die Enge treiben. Wir müssen wenigstens einen Teil unserer Anleihen so bald wie möglich tilgen.«
    »Womit? Mit den Mottenlarven, die in diesen leeren Regalen auf Tuchballen warten?«
    »Mit den Juwelen, die dir der Herzog in Gent als Pfand für deinen Kredit gegeben hat.«
    Unwillkürlich fasste Aimée nach dem prächtigen Rubin, den sie an einer feinen goldenen Kette um den Hals trug und dessen Fassung mit schimmernden Perlen besetzt war. Ruben bestand auch in Brügge darauf, dass sie die auffälligen Schmuckstücke trug.
    »Die Juwelen waren meine Hochzeitsgabe für Aimée«, hörte sie ihn antworten.
    »Du musst völlig den Verstand verloren haben«, entgegnete Colard aufgebracht. »Diese Frau ist nicht nur dein, sondern unser aller Untergang. Ich wünschte, du wärest ihr nie begegnet. Wir müssen diesen Schmuck verkaufen.«
    »Ich denke nicht daran.«
    Aimées Gedanken überschlugen sich. Wieso hatte ihr Ruben verschwiegen, dass das Handelshaus so tief in Schwierigkeiten steckte? Sie traf eine impulsive Entscheidung. Mit wenigen Schritten hatte sie die streitenden Männer erreicht. Bis dahin hatte sie die Kette vom Hals gezerrt und warf sie Colard hin.
    »Nehmt sie«, sagte sie stolz. »Den Rest bringe ich euch sogleich. Ich lege keinen Wert darauf.«
    Colard starrte auf den Rubin, der sogar im diffusen Licht des Lagerhauses in seiner Perlenfassung glühende Funken sprühte.
    »Ich verstehe nicht«, sagte er fassungslos.
    »Oh doch, das tut Ihr«, widersprach sie. »Ihr wollt die Juwelen des Herzogs, um die Schulden des Hauses Cornelis zu begleichen. Ihr sollt sie haben.«
    »Du hast gelauscht!«
    Rubens Vorwurf war grotesk. Aimée wies ihn ohne jede Scheu zurück. »Wenn ihr nicht wollt, dass man hört, was ihr sagt, dann solltet ihr nicht so schreien.«
    »Wie kommst du eigentlich in das Tuchlager? Was hast du hier zu suchen?«
    »Dich«, erwiderte Aimée schlicht.
    Ruben und Colard starrten sie an. Colard schien immer noch fassungslos. Ruben sah aus, als

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