Die Stunde des Verfuehrers
Traum war schnell geplatzt, aber da war es bereits zu spät.
„Irgendwie glaube ich nicht, dass du mir die ganze Geschichte erzählst, Alana. Aber eines Tages wirst du das.“
Sein Blick war viel zu intensiv und weckte irrationales Vertrauen und Hoffnung auf eine Zukunft, die ihnen nicht gegeben war. Also tat sie das Einzige, was sie noch tun konnte, um sich zu schützen: Sie schlug zurück. „Und was ich mit dir, Pascal? Warum hat dich noch keine eingefangen? Bestimmt haben einige der Frauen, mit denen du ausgegangen bist, keine Skrupel, dich zu fragen, ob du sie heiraten möchtest.“
Das offensichtliche Desinteresse, mit dem sie ihre Frage stellte, ärgerte ihn – als sei es ihr in Wirklichkeit völlig egal, weshalb er bislang nicht geheiratet hatte. „So weit habe ich es nie kommen lassen“, erwiderte er kühl.
So weit? Oder so nah?, ging es Alana durch den Kopf.
„Wir sind einander gar nicht so unähnlich“, fuhr Pascal fort. „Weil ich mit einer allein erziehenden Mutter aufgewachsen bin, sehe ich die Ehe nicht durch eine rosa-rote Brille.“
„Was meinst du damit?“, fragte sie verwirrt.
„Mein Vater war ein verheirateter Mann. Meine Mutter und er lebten in demselben Ort. Irgendwann begannen sie eine Affäre. Er hat ihr versprochen, seine Frau und Kinder für sie zu verlassen, aber er hat sein Versprechen nie gehalten. Schließlich ist sie nach Paris gegangen und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, einen anderen Mann zu finden und zu heiraten. Aber eine Alleinerziehende wollte niemand. Nach ihrem Tod bin ich zu meinem Großvater gezogen. Mein Vater wohnte immer noch in dem Ort. Er wusste genau, wer ich war. Ein paar Mal sind wir uns auf der Straße begegnet. Er hat durch mich hindurchgesehen, als würde ich gar nicht existieren. Und zu Hause hat er dann auf glückliche Familie gemacht, mit seiner Frau und meinen drei Halbgeschwistern. Aus diesem Grund wollte ich nie heiraten. Wenn eine Ehe einen Mann dazu bringen kann, seinem eigenen Kind den Rücken zu kehren, seine Treuegelübde mit Füßen zu treten …“
Sie empfand großes Mitgefühl mit ihm. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und ihm Trost gespendet. Doch sie hielt sich zurück. „Du würdest so etwas niemals tun“, sagte sie sanft. „Und es gibt viele Menschen mit Kindern, die einen neuen Lebenspartner treffen. Es ist traurig, dass das deiner Mutter nicht vergönnt war. Sie muss sich sehr einsam gefühlt haben.“
Pascal seufzte. Wieder flackerte der uneingestandene Wunsch nach einer Familie auf, den sein Großvater ihm eingepflanzt haben musste. Alana kam ihm zu nahe, sie verstand zu viel. Am liebsten hätte er sich sofort zurückgezogen, um seine Seele zu schützen. Aber er machte weiter, er schuldete es seinem Großvater und seinem Wunsch.
„Meine Mutter hat mir die Schuld an ihrem Schmerz und ihrer Einsamkeit gegeben“, erwiderte er. „Sie ist gestorben, als ich vierzehn war.“
„Das tut mir leid. Ganz gleich, wie schwierig eure Beziehung war, sie war deine Mutter. Bist du nach ihrem Tod zu deinem Großvater gezogen?“
Pascal nickte nur. Er fühlte sich nackt und ihren Beobachtungen hilflos ausgeliefert.
Ein Gedanke flammte in Alana auf, der sie schon seit Langem beschäftigte. „Was ist das für eine Verbindung zwischen dir, deinem Großvater und Rugby? Ich spüre, dass es eine gibt, aber du sprichst nie darüber.“
Wie damals bei dem Interview trat ein kalter Ausdruck in seine Augen, kalt und hart wie Stein. „Fragst du mich das als Reporterin?“
Alana setzte sich kerzengerade hin. Es verletzte sie tief, dass er nach der langen Zeit immer noch so schlecht von ihr dachte. „Natürlich nicht.“
Ihre Blicke trafen sich. Grüne Augen und braune Augen. Regungslos ließ Alana seine Musterung über sich ergehen. Und dann sah sie, wie seine Miene weicher wurde. Er streckte die Hand nach ihrer aus und drückte sie zärtlich. Die Geste ließ das Blut in ihren Adern schneller pulsieren.
„Es tut mir leid. Das war nicht fair.“ Einen Moment schaute er auf ihre verschränkten Hände, dann hob er den Kopf. „Die Wahrheit ist, dass das ein sehr persönliches Thema ist. Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen.“
Alanas gesamte Aufmerksamkeit war auf Pascal gerichtet. Die Welt außerhalb ihrer Zweisamkeit hatte aufgehört zu existieren. Ein Kellner versuchte verzweifelt, sich bemerkbar zu machen. Schließlich gab er auf und ging.
„Ich wollte dich nicht bedrängen. Wenn es dir schwer
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