Die Stunde des Verfuehrers
fällt, darüber zu reden …“
„Nein“, fiel er ihr ins Wort. Das Mitgefühl, das er in ihren Augen sah, erinnerte ihn an seinen heimlichen Wunsch. Wenn er halten wollte, was er sich nach jenem verheerenden Abend in dem verruchten Restaurant geschworen hatte, musste er ihr alles anvertrauen. „Das ist es nicht. Ich würde gerne morgen mit dir einen Ausflug machen. Dann erkläre ich dir alles.“
Sie nickte nur. Bei dem Gedanken, dass er sich ihr öffnen wollte, wurde ihr ganz warm ums Herz. Gleich darauf überkam sie das Bedürfnis, so schnell und so weit wegzulaufen, wie ihre Beine sie tragen konnten. Ihr Gespräch streifte Regionen, die auf eine tiefere Beziehung schließen ließen. Und doch empfand sie noch immer die Distanz, die Pascal seit einigen Tagen aufgebaut hatte. Diese Diskrepanz verunsicherte sie. In ihrem Kopf begannen alle Alarmglocken zu schrillen.
Am nächsten Tag war Alana ein einziges Nervenbündel. Sie erinnerte sich, wie sie gestern Abend in Pascals Apartment zurückgekommen waren. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, er würde sie berühren, damit ihre Ängste und Unsicherheiten verschwanden. Doch Pascal verhielt sich reserviert und abweisend. Nach einem gemurmelten „Gute Nacht“ hatte er sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen.
Am Morgen jedoch wiederholte er, dass er gerne einen Ausflug mit ihr machen wolle.
Deshalb stand sie jetzt vor seinem Apartment auf dem Bürgersteig und wartete darauf, dass er den Wagen holte. Das Gefährt, das kurz darauf vor ihr hielt, konnte sie nur mit offenem Mund anstarren.
„Was ist los?“, fragte Pascal beim Aussteigen.
„Das ist nicht dein Wagen.“
„Ich besitze viele Autos“, erwiderte er amüsiert. „Aber du hast recht. Dieses hier ist neu.“
Panik breitete sich in Alana aus. Im Moment hätte sie alles dafür gegeben, seinen Porsche oder einen anderen schnellen Flitzer vor sich zu sehen.
„Aber das ist … das ist …“ Hilflos schaute sie ihn an.
„Ein Familienauto“, soufflierte er.
Genau das war es, was sie so perplex fixierte: eine brandneue Luxus-Familienkutsche.
Er hielt die Beifahrertür für sie auf. Sie stieg, ohne einen Blick auf die Rückbank zu werfen, ein. Sie wollte gar nicht wissen, ob er auch einen Kindersitz gekauft hatte. Als Pascal wieder hinter dem Steuer saß, spürte sie, dass er ihr einen fragenden Seitenblick zuwarf.
„Geht es dir gut? Ist die Übelkeit zurückgekehrt?“
Alana schüttelte den Kopf und nickte gleichzeitig. Sie hatte keine Ahnung, was genau mit ihr los war.
„Alles okay“, log sie.
„Ich habe den Wagen für dich gekauft. Du brauchst einen fahrbaren Untersatz.“
Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Wie dumm von ihr! Natürlich war der Wagen nicht für sie beide gedacht. Pascal hatte ihn nicht als ein Symbol der Zusammengehörigkeit gekauft. Nein, damit wollte er vielmehr seiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass sie unabhängig sein sollte. Nach dieser Erkenntnis fiel ihr das Atmen gleich viel leichter. Und das leere Gefühl in ihrem Bauch rührte wohl nur von ihrer Erleichterung her.
„Wohin fahren wir?“, fragte sie.
„Du wirst schon sehen“, entgegnete er nur.
Die wunderschöne Pariser Innenstadt glitt an ihnen vorbei. Schließlich bog Pascal auf eine Autobahn ab, Lärmschutzwände blockierten die Sicht auf die Stadt. Zwanzig Minuten später verließen sie die Autobahn wieder. Und das Paris, in das sie jetzt kamen, unterschied sie grundlegend von dem Teil, den Alana bisher kennengelernt hatte.
Sie befanden sich in der Vorstadt. Straßen mit Schlaglöchern, baufällige Häuser und trostlos wirkende Wohnblöcke bestimmten das Bild.
„Bist du hier aufgewachsen?“
Er schaute sie nicht an. „In der Nähe, ja.“
Kleine Gruppen von Jugendlichen und Frauen mit ihren Kindern standen auf dem Bürgersteig, gingen ihren täglichen Beschäftigungen nach. In einem Schulhof spielten Kinder.
Endlich fuhr Pascal – vorbei an einem Wachmann – auf den Parkplatz eines gepflegt wirkenden Gemeindezentrums. Langsam stiegen sie aus. Pascal schwieg, doch Alana war sich bewusst, dass er jede ihrer Reaktionen sehr genau beobachtete. Plötzlich empfand sie es als extrem wichtig, dass sie seinen wie auch immer gearteten Test bestand.
Ein Grüppchen hoch aufgeschossener, äußerst muskulös wirkender Jugendlicher stürmte aus dem Gebäude. Sie begrüßten Pascal johlend und pfeifend – offensichtlich war das freundlich gemeint, denn Pascal grüßte lächelnd
Weitere Kostenlose Bücher