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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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sich um. Er war, wie schon den ganzen Abend lang, von einer direkten, energischen, professionellen Sachlichkeit, doch einen kurzen Augenblick lang kämpfte er mit einer Gefühlsanwandlung, als wüsste er, dass er De Haan nie wiedersehen würde, und Terhovens Blick, mit dem er ihm über die Schulter hinterhersah, bestätigte die Ahnung.
    De Haan lief Richtung Bab el-Marsa und Hafen weiter. Le goût hollandais , dachte er. Betrunken und einsam und in den Tod auf See geschickt. Doch er fand den Gedanken anstößig und zwang sich, ihn zurückzunehmen. In dieser Nacht riskierten im Nordatlantik und überall in Europa alle möglichen Leute ihr Leben, doch es war immer Platz für einen mehr, und wer von ihnen das Kriegsende miterleben würde und wer nicht, stand in den Sternen. Als De Haan fünfzehn war, handelte sein Vater als Kapitän des Schoners Helma J. in der Celebes-See mit Kopra, indem er mit Flößen die Dschungelflüsse entlangfuhr, in den Dörfern bei den Eingeborenen kaufte und die Kopra in Leinensäcken wieder mitbrachte. Doch dann bog er eines Tages auf den falschen Fluss ab und wurde nie mehr gesehen. Eine beklemmende halbe Stunde lang hatte der Chef des Helma-J. -Syndikats in ihrem Wohnzimmer in Rotterdam gesessen, auf den Boden gestarrt und »Armer Mann, armer Mann, vom Glück verlassen« gemurmelt, bevor er einen Briefumschlag auf dem Dielentisch hinterlegte. Ein Jahr danach war De Haan, unter den Tränenströmen seiner Mutter, zur See gegangen.
    Bis De Haan das Dock erreichte, war es drei Uhr morgens. Die Hafenbarkasse war bereits seit vielen Stunden für die Nacht vertäut, doch sein Decksmeister hatte ihm das Beiboot der Noordendam mit zwei Vollmatrosen geschickt, die ihm einen guten Abend wünschten und den Motor starteten. De Haan setzte sich in den Bug, und sie tuckerten an toten Fischen und Ölschlick vorbei, die im Mondlicht schimmerten, durch die Hafendünung.
    08.00 Uhr, 4. Mai 1941. 35° 12' N/6° 10' W, Kurs SSW. Niedriger Wolkenstand, leichte NO-Dünung, Wellengang 1, 20-1, 80 m. Keine Schiffe gesichtet. Keine besonderen Vorkommnisse. J. Ratter, Erster Offizier.
    Noch, dachte er, als er die Eintragung des Ersten Offiziers zum Auftakt der Vormittagswache las, die von acht bis zwölf Uhr dauerte. Traditionellerweise Aufgabe des Kapitäns, genau wie die Morgenwache von vier bis acht und die gefürchtete Mittelwache von Mitternacht bis vier, die nach unzähligen Bechern Kaffee verlangte, während man in die Nacht hinausstarrte und auf das Morgengrauen wartete, doch er war noch auf keinem Schiff gefahren, auf dem das anders gewesen wäre. Zur ›Stunde des Wolfs‹, der Zeit, in der das Lebenslicht flackerte und manchmal ganz verlosch, musste ein Kapitän auf seiner Brücke sein.
    Er sagte dem neuen Steuermann – stets ein Vollmatrose, ein kräftiger Kerl – am Ruder guten Morgen und sah, dass Ratter am Ende seiner Wache nicht in seine Kajüte hinuntergegangen war, sondern draußen auf der Steuerbordnock der Kommandobrücke stand und mit seinem Fernstecher den Horizont absuchte. Gut möglich, dass U-Boote da draußen auf die Jagd gingen, selbst so nah an der britischen Luftsicherung von Gibraltar, und vom offenen Deck der Nock aus hatte man eine viel bessere Sicht als auf der geschlossenen Brücke. Nicht dass dies zählte, dachte De Haan, im Zweifelsfall konnten sie weder abdampfen noch zurückschlagen. Sie konnten die Funkstille brechen, seit Kriegsbeginn eine eiserne Regel für Handelsschiffe, doch das würde die Noordendam nicht retten.
    Trotz des Krieges, trotz allem eigentlich, tat es ihm immer noch gut, wieder auf See zu sein.
    Der Atlantik an einem Frühlingsmorgen, sechs Meilen vor der Küste Afrikas. Tiefe Wolkenbank am Horizont, wechselhafter Himmel, die See wie glänzendes Blei, steife Brise vom Nordost-Passat, am Heck kreisende, kreischende Möwen auf der Lauer nach den Frühstücksresten. Die Wirklichkeit – für De Haan, besonders seit diesem seltsamen Abendessen vor vier Tagen, beruhigend. Das gute Jackett war wieder in seinem Spind verstaut, und De Haan war wieder er selbst – verwaschenes Köperhemd, bis über die Ellbogen aufgekrempelt, graue Segeltuchhose, knöchelhohe Lederschnürstiefel mit Gummisohlen. Und ein einziges Zeichen seiner Autorität: eine Kapitänsmütze, ein sehr alter und abgetragener Freund mit der Goldstickerei der Hyperion-Lijn-Insignien, der gedrehten Kordel in der Form eines H, blassgrün nach den Jahren an der salzhaltigen Luft, die er mit dem

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