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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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werden wir eine Stunde vorher den französischen Luftstützpunkt bei Bizerta passieren. Natürlich ist das geschätzt.«
    »Natürlich. Wann werden wir durch die Straße von Gibraltar kommen?«
    »Am Sonntag, nach Sonnenuntergang.«
    »Hm«, sagte Sims in einem Ton, der bedeutete, dass er durchaus zufrieden war. »Angesichts der deutschen Küstenwache ist es wohl besser nach Einbruch der Dunkelheit, vor Gibraltar.«
    De Haan stimmte zu.
    »Wann werden Sie zur Santa Rosa?«
    »Wir beginnen um drei Uhr dreißig, eine Stunde vor Sonnenaufgang, mit dem Auftakeln, dann gehen wir vor einem Küstenstrich namens Angra de los Ruivos vor Anker, nehmen mit aufgehender Sonne den Anstrich vor und sind bis zehn hundert Uhr schon unterwegs.«
    »Was gibt's da?«
    »Ehrlich gesagt, Major, gibt's da rein gar nichts. Ein ausgetrocknetes Flussbett, Wadi Assaq, und das wär's dann auch schon.«
    Eine Zeit lang standen sie schweigend da, vom Stampfen des Motors wie hypnotisiert. »Fünfeinhalb Stunden, sagten Sie, für den Anstrich?«
    »Unserer Schätzung nach, ja. Wir übermalen einfach die Farben der Hyperion-Lijn, daher kein Abschleifen oder -schmirgeln. Wir verwenden Kletterseile und Bootsmannstühle, die wir über die Seiten hängen, und lassen alle unsere besten Matrosen mitarbeiten – die ganze Crew ist dabei – und wir haben reichlich Stricke, Dosen, Pinsel, alles.«
    Dafür hatte De Haan gesorgt, als er mit dem Bootsmann die Logistik plante, bevor sie die Schiffsausstatter in Tanger verließen. In einem gottverlassenen Hafen hatte er einmal Matrosen der sowjetischen Marine dabei beobachtet, wie sie mit den bloßen Händen auf den Planken herumschmierten.
    »Uns bleibt nur eine Stunde zum Trocknen«, sagte De Haan, »und wir werden den Schornstein mit Wasser besprengen müssen, um ihn abzukühlen, und die Farbe verdünnen, damit sie verwittert wirkt. Es wird schrecklich aussehen, aber das ist gar nicht mal so schlecht.«
    Sims schwieg zufrieden. Der Steuermann hielt beständig 320 Grad, ein wenig westlich von Nord, und der Viertelmond stand hoch am Himmel, so dass sich sein Licht an der rauen Oberfläche des Meeres brach.
    »Unsere voraussichtliche Ankunft«, sagte Sims und kam damit auf seine eigentliche Sorge zurück. »Glauben Sie, wir schaffen das rechtzeitig?«
    De Haan antwortete in verständnisvollem Ton. »Siebzehnhundert Seemeilen bis Cap Bon, Major, an Marokko und Algerien und einem Großteil von Tunesien vorbei. Wir sind in der Elf-Knoten-Klasse, und so viel machen wir derzeit auch, demnach brauchen wir, rein mathematisch gesehen, sechseinhalb Tage. Der Wetterbericht für den Atlantik ist günstig, aber sobald wir in der Straße von Gibraltar sind, haben wir es mit dem Mittelmeer zu tun, wo, wie Sie wissen, Stürme ›aus heiterem Himmel‹ aufkommen. Das tun sie wirklich, und zum Beweis liegen tonnenweise griechische Knochen auf dem Meeresgrund. Aber wir im Trampschiff-Geschäft denken nun mal, wenn nicht heute, dann eben morgen. Fest versprechen können wir nur, dass wir nicht zu früh da sein werden.«
    »Wir haben drei Nächte«, sagte Sims, »bis unser kleiner Mann ein kleines Lichtzeichen gibt. Trotzdem ist man verständlicherweise ein bisschen besorgt.«
    Man hat die Hosen gestrichen voll. Nicht davor, zu sterben, dachte De Haan. Davor, zu spät zu kommen. Rule Britannia .
    04.20 Uhr. Vor Rio de Oro.
    Zuflucht. Diese Stunde in seiner Kajüte bei Sonnenaufgang war De Haans Nacht, auch wenn er sie selten zum Schlafen nutzte. Das war erst nach Tagesanbruch für drei Stunden möglich, bevor er zu einer Acht-bis-zwölf-Schicht wieder auf die Brücke ging. Er war daran gewöhnt – sich am Nachmittag noch einmal schlafen zu legen –, und es war ihm sogar irgendwie gelungen, Gefallen daran zu finden, was seiner Erziehung nach mehr oder weniger das Geheimnis des Lebens ausmachte. Er versuchte, auf der schmalen Koje eine bequemere Haltung einzunehmen, und starrte auf das dunkle Bullauge am anderen Ende der Kajüte.
    Und das war nicht weit. Seine Zuflucht, in Stahlgrau gestrichen, maß drei mal vier: eine Koje mit Schubladen darunter, ein Kleiderschrank mit anschließendem kleinem Schreibtisch, im Boden verbolztem Stuhl, Waschbecken und Toilette in einer kleinen Nische hinter einem Vorhang. Es gab ein im Spant – in der Wand – über dem Schreibtisch verankertes Bücherregal mit zwei Fächern, in dem sich die vierzig Titel seiner Bibliothek nebst seiner Victrola mit Kurbel und einem Album mit Schallplatten in

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