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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Claudine à l'École .
    Arlette.
    Französische Texte las er langsam, sehr langsam sogar; andererseits waren diese Bücher von einer heiteren, schlichten Anziehungskraft über den Wortlaut hinaus, die ihn anspornte, nicht aufzugeben. Und mehr noch. Es ging dabei nicht nur um die Schulmädchen, die küssten und herumpoussierten und der Schuldirektorin Streiche spielten – erotisch auf vielfältige Weise, woran nichts auszusetzen war –, es ging auch um den Garten. Die rue . Die Katze und den Himmel. Es war, wie De Haan es für sich zusammenfasste, der perfekte Kompass südlich von seinem Norden – von dem grausam pragmatischen Leben, das er außerhalb seiner Kajüte zu leben hatte. Eine Traumwelt, die gewundene Straße mit ihren Platanen, die auberge mit ihren rostigen Stühlen auf dem Kies hinter den Gartentüren.
    Das waren keine Illusionen. Er war da gewesen. Und am Ende jener Straße, in einem klumpigen Bett in jener auberge , hatte Arlette sich darüber gewundert, wieso er es vorzog zu gehen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, nahm sie an, man kam nun mal nicht darum herum. Und, sagte sie mit einem melancholischen Zucken und Zittern um die Mundwinkel, so war das nun mal auf dieser traurigen Welt. Keine zwei Jahre her, wurde ihm bewusst, der letzte Frühling vor dem Krieg. Er hatte sie in einem Café in Amsterdam kennen gelernt – sie war mit einer Freundin dort, die einen Kapitänskollegen kannte – und da die Noordendam in Rotterdam auf Trockendock lag, waren sie nach Paris gegangen, danach aufs Land.
    Sein Leben mit Frauen war immer seinem Leben auf See zum Opfer gefallen – kurze Affären, die er sich lange en détail ins Gedächtnis rief. Gelegentlich nicht weit von käuflicher Liebe entfernt – Geschenke, wer weiß, was noch alles – und manchmal leidenschaftlich, doch im Allgemeinen das weite Feld dazwischen. Das letzte Mal, nach der Trennung von Arlette im selben Frühling – für immer, hatte sie gesagt – war letzten Oktober gewesen, in Liverpool, mit einer Frau, die er in einem ziemlich vornehmen Club für Marineoffiziere getroffen hatte. Sie war Krankenwagenfahrerin, Angehörige des Women Royal Naval Service, jung und rosig und makellos und geschwätzig und so darauf erpicht, ihm zu gefallen, dass er den Verdacht nicht loswurde, es fehle ihr an jeglichem Gefühl. Ein trauriger Abend für ihn, nach Arlette.
    Eine feurige Bretonin, Feuergöttin, mit anmutigem Gang und heißem Temperament, heiß in jeder Beziehung. An einem entscheidenden Moment ihrer ersten gemeinsamen Nacht pulsierte das, was seine Hand entdeckte, und die Hitze überraschte ihn zunächst, dann inspirierte sie ihn. »Das liegt an meiner Haut«, sagte sie später während einer kurzen Ruhepause, in der ihr eine Gauloise von den schweren Lippen hing. Sehr weiß, und dünn, sagte sie, so dass sie schon von der Berührung einer Hand in Flammen stand. Immer? Nein, nicht immer. Aber jetzt. »Ich wusste, dass es so kommen würde«, schmollte sie und beschuldigte ihn, sie zu erregen. Natürlich schmeichelte sie ihm, umgarnte ihn, machte ihn sich zu Eigen – das wusste er und fühlte sich geschmeichelt und umgarnt. Doch es war nicht gelogen, ihre Haut war blass und zart, ihr grandioses Hinterteil im Licht der Nachttischlampe nach der Liebe voll roter Flecken.
    Sie war, vermutete er, ein paar Jahre älter als er. Sie arbeitete in den Geschäften, sagte sie, mal hier, mal da, ihr war es gleich. Und sie war auf der Suche nach einem Abenteuer nach Amsterdam gekommen, bekannte sie indirekt, weil sie die Männer, mit denen sie sich in Paris hätte treffen können, nur langweilten. Was, fragte er sich, würde wohl aus ihr werden, nachdem nun die Deutschen die Stadt eingenommen hatten? Die Vorstellung beunruhigte ihn; sie war nicht die Frau, die Blicke meiden, die unauffällig mit der Umgebung verschmelzen würde.
    In seinem Bullauge dämmerte der Morgen, und als De Haan merkte, dass sie an Fahrt verloren und der Anker ausgeworfen wurde, stand er auf, um sich ein Bild zu machen. Sie waren eine Meile vor der Küste; niedrige Hügel, grauer Sand, eine leichte Brandung, die sich an einer Felsklippe brach. Er zog die Schuhe aus und seufzte vor Vergnügen, schlüpfte aus Hemd und Hose und unter die Decke seiner Koje. Er rauchte den Zigarillo fertig, drückte ihn in dem Metallbecher aus und schloss die Augen.
    Nach der Zeit auf dem Lande hatten sie zwei Tage in Paris verbracht. Schließlich musste er den Frühzug zurück nach Holland

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