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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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erschossenen Offizier. Als die Nacht hereinbrach, erschöpften sich die Kämpfe in einer Pattsituation – laute Beschimpfungen, die von einer wilden Schießerei erwidert wurden, bis schließlich, im Morgengrauen, die Falangisten einen Notruf funkten, der ein paar Stunden später zwei Patrouillenboote der deutschen Kriegsmarine auf den Plan rief. Als Amado, der auf der republikanischen Seite kämpfte, die Hakenkreuzflaggen sah, wusste er, dass er erledigt war.
    Doch das war er nicht. Nicht ganz.
    Offiziere und Crew wurden in Gewahrsam genommen, die Verwundeten zusammengeflickt und das Schiff in den Hamburger Hafen bugsiert. Die Falangisten entließ man sofort als faschistische Gleichgesinnte, während die Republikaner – »Bolschewisten sie nennen uns« – im Hafen festgehalten wurden. Daraufhin telegrafierte die Polizei an den Schiffseigentümer, der eine Stunde später zurücktelegrafierte und gegen die Festnahmen protestierte: Wo, fragte er, sollte er eine Ersatzmannschaft herbekommen? Und so ließen sie nach einem Tag Verhör und ein paar gebrochenen Nasen die meisten Republikaner laufen. »Aber drei«, sagte Amado, »nicht zurückkommen.«
    In Wahrheit waren die Deutschen nicht auf ein paar neue Insassen in ihren Gefängnissen aus, in Wahrheit wollten sie das Chromeisenerz, das dazu diente, bei unterschiedlichem Kriegsmaterial den Stahl zu härten – die Fracht des spanischen Schiffs und künftig noch mehr, alles, was sie in die Finger bekommen konnten.
    Doch Amado – vielleicht einer der Rädelsführer, vielleicht aber auch nicht, De Haan war sich nicht sicher – sollte nie wieder an Bord dieses Schiffes gehen. Das folglich ohne ihn in See stach, während Amado in einer Seemannsabsteige in der Hamburger Altstadt blieb, wo ihn De Haan zwei Monate später fand. »Sehr schlimm, Hamburg«, sagte Amado mit grimmiger Miene.
    Ein mitfühlendes Nicken von De Haan und dann: »Amado, unser Schiff soll ein spanisches Schiff werden, für einige Zeit.«
    Amado schien nicht zu begreifen.
    De Haan ging in seine Kajüte und kam mit dem eingewickelten Päckchen zurück. Er machte es auf, und als er Amado zeigte, was es enthielt, starrte der Mann ihn einen Moment lang an, bevor es in seinen Augen blitzte.
    »Ah!«, sagte er. »Das kenne ich …«
    So dürftig Amados Englisch sein mochte, dachte De Haan, so erkannte er gewiss ein Täuschungsmanöver, wenn er es vor Augen hatte. »Richtig«, sagte De Haan. »Und Sie« – zum Nachdruck zeigte er mit dem Finger auf ihn – »der Kapitän.« Er nahm seine Mütze vom Kopf und setzte sie Amado auf. »Auf Funk, ja? Oder, oder wenn wir Sie brauchen.«
    Amado gab die Mütze mit einem wehmütigen Lächeln zurück. Nichts für unsereinen.
    »Können Sie das machen?«
    »Ja, Herr Kaptän«, sagte Amado. »Con gusto .« Mit Vergnügen.
    Die Leute mit den Bumbooten trafen in der Abenddämmerung ein und ankerten mit ihrer bunten Mischung an Feluken mit gestreiften Baldachinen längsseits am Schiff, um noch während sie auf der steilen Gangway den Schiffsrumpf hochstiegen, ihre Waren auszurufen. An Deck erwarteten sie der Bootsmann Van Dyck und der Vollmatrose Scheldt mit verschränkten Armen und Polizeischlagstöcken, die sie an Schlaufen am Stoffgürtel trugen.
    Die Bumboot-Händler brachten Koffer voll mit Tabak, Streichhölzern, Zigarettenpapier, französischen Postkarten, Früchten, Schokolade, Kaugummi, Nadel, Knopf und Faden, Schreibpapier und Briefmarken, die sie einfach so auf Decken ausbreiteten. Dann hockten sie sich hin und priesen die großen Vorzüge und Spottpreise ihrer Waren an – das hier seien, Gott sei ihr Zeuge, nicht einfach nur Briefmarken. Die Geschäfte waren schnell getätigt, von De Haans Angebot, für den bescheidenen Alltagsbedarf Geld zur Verfügung zu stellen, machte die Besatzung nur allzu gern Gebrauch, und De Haan selbst, der mit Ratter dabeistand und dem Treiben zuschaute, sah sich genötigt, ebenfalls ein paar Dinge zu kaufen, die er nicht brauchte. Er hatte schon immer Basare gemocht – es gab einen in Alexandria, wo die Steinecke am Fundament eines Brunnens über die Jahrhunderte vom Vorbeistreichen der Kleider vollkommen abgerundet war.
    Als ein junger Mann mit drei Frauen an Deck erschien, sagte Ratter: »War wohl nicht anders zu erwarten, was?« Eine der Frauen war jung, die anderen beiden ohne Alter, alle unverschleiert, die Augen mit Kajal in Szene gesetzt, die Lippen karmesinrot geschminkt. »Ich sag ihm, kommt nicht infrage, oder?

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