Die Stunde des Wolfs
mein Freund auf, krank vor Sorge, dachte schon, ich wär im Gefängnis, obwohl wir in Wahrheit direkt an dem Wachposten zum Club vorbeigefahren sind.«
Auf dem Hügel war es dunkel und sehr ruhig. Direkt über dem Horizont hatte sich eine schmale, abnehmende Mondsichel erhoben. Neumond am Zwölften, dachte De Haan. Weshalb der Einsatz für diese Nacht geplant war und, falls es nicht klappte, bis zum Juni warten musste. »Wir sollten nicht zu lange hier bleiben«, sagte er.
»Nein, Sie haben Recht.« Sie schickte sich an, den Motor anzulassen.
»Ich werde ein Boot für die Farbe schicken«, sagte er. »Morgen früh.«
»Ich bin in Zimmer acht.«
De Haan schlug wieder das Papier um die Flagge und verschnürte das Päckchen, als der Motor startete. »Vielen Dank dafür«, sagte er.
»War mir ein Vergnügen«, sagte sie. »Werden Sie sie, ehm, stolz hissen?«
»Denke schon«, sagte De Haan. »Wieso auch nicht.«
09.20 Uhr. Bucht von Rio de Oro, vor Villa Cisneros.
De Haan benutzte den Kartenraum als Büro. Eine Wand nahm eine Reihe niedrige Teakholzschränke ein, in deren breiten Schubladen sich Karten für die Weltmeere befanden. Diese Meere mochten sich bei entsprechendem Sturm in Falten legen, die Karten nicht. Die Oberseite der Schränkchen diente als Arbeitsfläche, mit Tastern, Stiften, Chronometern – sämtlichen Utensilien für die Navigation. Ein Schott führte in De Haans Kajüte, das andere an Deck.
Der Vollmatrose Amado klopfte, pünktlich auf die Minute, höflich an. »Ja?«, fragte De Haan.
»Volle Matrose Amado, Herr Kaptän.«
»Herein.«
Er war ein ungepflegter Mann in den späten Dreißigern, mit einem Schnauzbart und einem leichten Hinken. Es waren drei Spanier an Bord der Noordendam – einer war Heizer, kaum der Sprache mächtig, ein zweiter, achtzehn Jahre alt, diente als Kochgehilfe und Kajütenjunge. Der dritte war Amado, vormals Schiffsschreiner auf einem spanischen Tramp, der 1937 als Vollmatrose in Hamburg angeheuert hatte. Was eine Einbuße an Status und Heuer mit sich brachte, doch das hier war seine Rettung, und Amado schätzte sich glücklich, noch am Leben zu sein.
»Bitte setzen Sie sich, Amado«, sagte De Haan und wies auf den zweiten Hocker, den er an die Schränke herangezogen hatte. »Zigarette?«
»Ja, bitte, Herr Kaptän.« Amado saß stramm.
De Haan reichte ihm eine Caporal und gab ihm Feuer, bevor er einen seiner North-State-Zigarillos anzündete. De Haan hatte schachtelweise davon, doch er konnte nur hoffen, dass sie über den Krieg hinaus reichten.
»Die Ansprache gestern«, sagte De Haan. »Die ist Ihnen doch erklärt worden?«
»Ja, Herr Kaptän.«
»Und das ist für Sie in Ordnung?«
Amado nickte. Er nahm einen tiefen Zug an der Caporal und blies den Rauch langsam aus, während er eine Handfläche nach oben hielt, um zu signalisieren, dass er viel mehr zu sagen hätte, als sein Englisch erlaubte. »Ja«, sagte er, »sehr.« De Haan sah, dass er zu den Männern gehörte, deren Feuer zur Glut verglimmt war, die sie aber sorgsam am Leben hielten.
Amado erzählte ihm nun seine Geschichte. Das meiste kannte De Haan schon – von dem Bootsmann, der den Decksleuten als Steuermann und zugleich als Beichtvater diente –, was nicht schadete, denn die Unterhaltung war für sie beide harte Arbeit, so einfach die Geschichte auch war. Als der Bürgerkrieg in Spanien Einzug hielt, verschonte er auch Amados Schiff nicht, einen Erzverfrachter, der Chromeisenerz von Beira im portugiesischen Ostafrika nach Hamburg transportierte. Als sie sich der deutschen Küste näherten, wurde jemand von jemandem beleidigt, was zu einem Handgemenge führte, das sich schon bald zu einer Schlägerei zwischen Republikanern und Falangisten unter der Besatzung steigerte – in deren Verlauf wie von Zauberhand rote und schwarze Halstücher erschienen –, sich dann bis zu den Offizieren ausbreitete und nur den Kapitän nicht erfasste, der sich mit einem geladenen Gewehr und einer großen Korbflasche Rum in seiner Kajüte verschanzte.
Binnen Minuten waren die Waffen gezückt. »Erst Messer, dann, ehm, fusiles .«
»Schusswaffen.«
»Ja. Darum hier.« Amado zog sein Hosenbein hoch und entblößte die runzlige Narbe.
Die Falangisten hatten den Funkraum, die Messe und die Offiziersmesse eingenommen; die Republikaner dagegen die Brücke, den Maschinenraum und das Mannschaftsquartier, es gab Verwundete auf beiden Seiten, zwei Matrosen, die tödliche Messerstiche empfangen hatten, einen
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