Die Stunde des Wolfs
fragen?«
»Als Offizier werden Sie dreißig Pfund Sterling im Monat verdienen – ungefähr hundertfünfzig Dollar.«
Shterns Gesicht erhellte sich. »Danke, Herr Kapitän«, sagte er. »Vielen, vielen Dank.«
»Sie können mir danken, Dr. Shtern, aber was wir hier tun, ist gefährlich«, sagte De Haan und musste an die kleinen Kinder denken. »Besonders jetzt. Ich hoffe, das ist Ihnen klar.«
»Ja, ich weiß«, sagte er ruhig. »Ich lese Zeitung. Aber ich bin darauf angewiesen, eine Beschäftigung zu finden.«
»Ich werde Sie mit meinem Ersten Offizier losschicken, er wird dafür sorgen, dass Sie alles bekommen, was Sie brauchen – wir haben einige Medikamente, werfen Sie einen Blick drauf, aber unsere Bestände sind vorsintflutlich. Außerdem werden wir Ihnen Kleider kaufen, daran soll's nicht fehlen.«
Shtern nickte. »Das wird alles ganz neu für mich sein«, sagte er, »aber ich werde mein Bestes tun, Herr Kapitän, Sie werden sehen.«
Erst um elf Uhr konnte De Haan an diesem Abend tun, was er schon seit Tagen immer wieder aufgeschoben hatte. Er setzte sich an den Tisch in der Offiziersmesse, trank einen Kaffee und arbeitete an einer Funkmeldung an Terhoven. Draußen war das Beladen immer noch im Gange, eine Symphonie aus Pfeifen, Klingeln und Motorendröhnen, doch De Haan konzentrierte sich so auf sein Vorhaben, dass er es kaum registrierte. Der Übertragungsschlüssel, den die Hyperion-Lijn benutzte, war für die Briten – oder auch jeden anderen – vermutlich ein offenes Geheimnis, und so musste er so kryptisch schreiben, wie er konnte, und hoffen, dass Terhoven zwischen den Zeilen las.
Der erste Teil war leicht, ein monatliches Gehalt, das für einen kürzlich eingestellten Sanitätsoffizier an eine Bank in Alexandria überwiesen werden sollte. Als Nächstes, und hier wurde es schwierig – die neue Fracht, ›von hiesigen Behörden für einen Mittelmeerhafen bestimmt‹. Und falls Terhoven, der den Krieg in den Londoner Zeitungen verfolgte und wusste, von wo aus ihn diese Meldung erreichte, annahm, es handele sich dabei um eine Ladung Feigen für Marseille, dann konnte er es auch nicht ändern. Was den letzten, den schwierigsten Teil betraf, so konnte De Haan, nach ein paar misslungenen Versuchen, nicht viel mehr tun als dies: ›Sie werden über die Änderungen in unserem Dienstverhältnis im Bilde sein.‹ Dieses Rätsel konnte Terhoven, falls er es nicht bereits wusste, lösen: Dank der Abteilung IIIA, Befehlshaber und Generalstab der Holländischen Admiralität Leiden, waren sie jetzt ein neues Besitzverhältnis eingegangen. Und wem genau sie nunmehr gehörten, wussten sie nur aus kryptischen Andeutungen.
Nicht dass Terhoven daran etwas hätte ändern können, in seinem fernen Land der Papierkrieger ging das Leben weiter – mit Kriegsrisikoversicherungen in den Händen so genannter Reederei-›Clubs‹, einer Menge Geld im Umlauf, einer Menge Anwälten und allgemein dem ganzen hoch komplizierten Apparat rund um das Eigentum von Schiffen. Hatte ihr verändertes Dienstverhältnis irgendeinen Einfluss auf das alles? De Haan konnte es nicht sagen – vielleicht bedeutete es lediglich, dass Terhoven sich jetzt neue und interessante Sorgen machen konnte.
Ratter kam in die Messe, ließ sich auf eine gepolsterte Sitzbank plumpsen, nahm seine Mütze ab und strich sich mit den Fingern durchs Haar.
»Johannes.«
»Eric.«
»Kaffee?«
»Irgendwas zu trinken.«
»Hol dir eine Flasche aus dem Kartenraum, wenn du möchtest.«
»Mach ich gleich. Zuerst muss ich dich stören.«
»Du störst mich nicht, ich bin gerade mit einer Funkmeldung an Terhoven fertig.«
»Ach ja, wenn er uns nur sehen könnte. Er würde sich in die Hosen machen.«
»Würde ich auch sagen. Wie geht die Arbeit voran?«
»Miserabel. Wir haben ein Kabel zerrissen und zehn Bomben auf den ganzen anderen Kram fallen gelassen.«
»Gehen die hoch?«
»Bis jetzt, wie's aussieht, noch nicht. Vielleicht brauchen sie aber nur ein bisschen Zeit. Und die Mitternachtsschicht hatte zwei Mann zu wenig.«
»Und, nach ihnen gesucht?«
»Hab ich, sind verduftet.«
De Haan fluchte.
»Einer von den Spaniern, und Vollmatrose Vandermeer.«
»Nein, Vandermeer?«
»Der harte Kerl war wohl doch nicht ganz so hart im Nehmen. Lässt sich wohl gerade flachlegen und ist entschlossen, auf jeden Fall am Leben zu bleiben. Willst du die beiden anzeigen?«
De Haan überlegte. »Nein. Sollen sie das mit sich selbst ausmachen. Was ist mit dem
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