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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Doktor?«
    »Hat sich in die Arbeit gestürzt, strengt sich wirklich an. Verbände, Merkurochrom, hat einen gequetschten Finger geschient. Froh, das alles los zu sein, Eric?«
    »Ein bisschen vielleicht.«
    »Einer der Männer hat ihn den Rabbi genannt.«
    »Ins Gesicht?«
    »Nein.«
    »Hast du das unterbunden?«
    »Ich hab gesagt, ›Du kannst ihn meinetwegen so nennen, wenn er dir dein nichtsnutziges Fell zusammenflickt, aber bis dahin hältst du dein Scheißmaul.‹ Ich glaube, die Botschaft ist angekommen. Was schreibst du Terhoven?«
    »Dass wir jetzt in britischer Hand sind – der dunklen Seite der Navy.«
    »Nicht dieser Konvoi.«
    »Nein, aber wenn wir nicht in die Luft fliegen, werden wir noch ziemlich rumkommen und einiges zu tun kriegen.«
    Ratter schüttelte den Kopf. »Wird immer seltsamer, findest du nicht?«
    De Haan las sich seine Meldung noch einmal durch und tippte EMH darunter.
    »Aber«, sagte Ratter, »wenn ich recht darüber nachdenke: Als ich das letzte Mal zu einer Zigeunerin gegangen bin, hat sie was von Geheimnissen erzählt. Von Schatten? Dunkelheit? Irgendwas in der Richtung.«
    »Du bist wirklich zu einer Wahrsagerin gegangen?«
    »Bin ich, wirklich. In Macao, ist schon Jahre her. Sie war Russin, ein Rotschopf.«
    »Und?«
    »Sie hat mir die Zukunft gelesen. Ich hab gedacht, es könnte vielleicht mehr draus werden. Aber da lag ich schief.«
    De Haan faltete das Papier einmal in der Mitte. Sobald sie unterwegs waren, würden sie Funkstille wahren müssen, Mr. Ali hatte das hier also vor dem Auslaufen zu funken. »In ein paar Stunden werden wir auftanken«, sagte er. »Proviant und andere Vorräte, alles eben.«
    »Bis dahin: Hattest du nicht was von einer Flasche gesagt?«
    »Linkes Schränkchen, dritte Schublade von unten. Bring sie rüber, ich leiste dir Gesellschaft.«
    23. Mai, 03.00 Uhr. Hafenverwaltungsgebäude.
    In einem kleinen Raum im Untergeschoss, eine Einsatzbesprechung mit dem Kapitän von Seiner Majestät Schiff Ellery , dem Zerstörer, der den Konvoi anführen sollte. Die Kapitäne der vier Handelsschiffe machten sich Notizen – wichtige Signale, die mit Aldislampe oder Flagge gesendet werden sollten, Zickzack-Kurse, um feindlichen U-Booten das Leben schwer zu machen, meteorologische Berichte. Der Kapitän lief unaufhörlich hin und her, hielt zuweilen inne, um eine Zahl oder ein Diagramm an die Tafel zu kritzeln und dabei kleine Flöckchen und Bröckchen Kreide zu versprühen. Ab und zu warfen sich die beiden Griechen Blicke zu – was hat er gesagt? Beim ersten Mal sah der kanadische Schiffsführer der Maud McDowell, ein dicker, weißhaariger alter Haudegen, verstohlen zu De Haan hinüber und zog eine Augenbraue hoch.
    »Die Situation auf Kreta«, führte der Zerstörerkapitän weiter aus, »hängt von der Schlacht um die Flugplätze ab, Maleme, Heraklion und Retimo. Die Deutschen haben Maleme eingenommen und dafür geblutet, bluten immer noch unter dem Gegenangriff einer neuseeländischen Division. Wir halten bis jetzt den Hafen Sphakia im Süden der Insel. Er war sehr hart umkämpft, wir haben Schiffe verloren, und auch Flugzeuge, aber wir haben einen ihrer Truppenkonvois versenkt – fünftausend Mann –, die Sache ist also noch lange nicht vorbei, und dieser Konvoi ist möglicherweise entscheidend. Verstanden?«
    Die Kapitäne nickten.
    »Dann lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal daran erinnern, wie wichtig es ist, Ihre Position zu halten – falls Sie zurückfallen, können wir Ihnen nicht helfen. Verstanden?«
    Sie verstanden.
    »Schön, die Stunde X ist 04.00 Uhr, und los geht's. Letzte Gelegenheit für Fragen – irgendwelche Fragen?«
    Keine Fragen.
    Der Kapitän legte seine Kreide weg, nahm einen Schwamm und machte sich daran, die Tafel abzuwischen. Als er damit fertig war, drehte er sich wieder um und sah sie einen Moment lang an. »Danke, meine Herren«, sagte er.
    05.20 Uhr. In See.
    Sie fuhren in Rautenform: Die Ellery beschützte die linke Flanke, die zwei griechischen Schiffe führten nebeneinander an, gefolgt von der McDowell und der Noordendam, den Zerstörer Seiner Majestät Covington zur Rechten. Während Kees am Steuer war, stand De Haan unterhalb der Brücke und beobachtete, wie die Covington manövrierte.
    Sie war in De Haans Augen schön anzusehen. Lang und grau, zog sie in Begleitung weißer Möwen im ersten blassen Morgenlicht durchs schaumgekrönte Wasser. Die Segeltuchabdeckungen waren von ihren Waffen entfernt worden, und von

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