Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
Vom Netzwerk:
über seinen Tisch gebeugt, die eine Hand mit einem Kopfhörer am Ohr, die andere am Skalenknopf. Als er De Haan sah, bot er ihm den Kopfhörer an und sagte: »Wir bekommen irgendeinen Funkverkehr rein – auf Hochfrequenzband.«
    Anfänglich kamen nur Geräusche, eine Sendung deutlich außerhalb der normalen Reichweite, auch wenn Signale auf offener See bekanntermaßen große Entfernungen überbrücken konnten. Schon bald aber erkannte De Haan das Geräusch als schweres Brummen – eine Störung? Nein, es änderte die Höhe, fiel dann zurück, wurde leiser und verstummte, kehrte aber wieder. Mit einer Stimme, die »… südlich von Ihnen!«, rief und so klang, als sei der Sprecher gerannt. Dann brach der Funkspruch ab.
    De Haan wollte den Kopfhörer schon herunternehmen, doch Ali hielt eine Hand hoch, Warten Sie. Er hatte Recht, das Dröhnen kam wieder, einen Moment lang vollkommen deutlich zu hören. Ein Flugzeugmotor. »Neun vierzig! Neun vierzig! Er ist …« Weg. Heftige atmosphärische Störungen – vielleicht, vielleicht aber auch etwas im Flugzeug selbst. Dann, Sekunden später, »Oh, verfluchte Scheiße«, ganz ruhig, wie laut gedacht. Wieder verlor sich der Funkspruch in Geräuschfetzen, um schließlich ganz zu verschwinden. De Haan nahm den Kopfhörer vom Ohr und fragte: »Wo kommt das her?«
    »Kreta, glaube ich. Ein Flugzeug. Das vielleicht mit Panzern zusammenarbeitet. Die neun vierzig könnte sich auf einen Panzer beziehen.«
    »Kann wirklich nicht viel hören«, sagte De Haan. In Wahrheit hörte er sehr wohl, doch es gefiel ihm nicht, und so reichte er Ali den Kopfhörer zurück. »Sie versuchen, BBC reinzubekommen?«
    Ali warf einen Blick auf die Uhr an der Anzeigetafel. »Noch ein paar Minuten, Herr Kaptän«, sagte er.
    Bis 08.50 Uhr hatte Kovacz die Maschine wieder unter Volldampf. De Haan berechnete, dass der Konvoi in dreieinhalb Stunden einundzwanzig Meilen Vorsprung gewonnen hatte, welche die Noordendam – mit elf Knoten statt der acht des Konvois – in sieben Stunden aufholen konnte. So lange würden sie allein fahren. Eine willkommene Zielscheibe für jeden, der zufällig in der Nähe war, doch wenn sie bis jetzt noch nicht angegriffen worden waren, vermutete De Haan, dann waren sie wohl einigermaßen in Sicherheit. Entweder war die Sonar-Auslotung des ASDIC blinder Alarm – vielleicht ein gesunkenes Schiff –, oder das U-Boot war verscheucht worden. Inzwischen nahm der Sturm zu; schwere Wolken verdunkelten den Morgen, und der südliche Himmel lag hinter einem Regenschleier, aus dem zwei, drei gespaltene Blitze auf einmal zuckten, gefolgt von fernen Donnerschlägen. Zwar wurde der Wind stärker, doch profitierten sie bei ihrer Aufholjagd von einer mitlaufenden Strömung.
    Da De Haan weder die Deutschen noch das Wetter bekämpfen noch das Tempo weiter beschleunigen konnte, aber irgendetwas tun musste, beschloss er, sein Augenmerk auf die Stimmung an Bord zu richten. In Alexandria hatten sie frisches Rindfleisch geladen, und er wies den Koch an, es zum Mittagessen zu servieren, mit Senfsoße, wovon der Mann ausnahmsweise etwas verstand, und Kartoffeln, einer doppelten Bierration und frischer Ananas zum Dessert. Anschließend versammelte er die Offiziere zum Kaffee.
    Kees musste auf Vormittagswache bleiben, dasselbe galt für den dänischen Schmierer Poulsen, der sich gerade als Maschinist ausbilden ließ, doch Ratter, Kovacz, Ali und Shtern – noch mit Bügelfalten an Arbeitshemd und -hose, eine blaue Offiziersmütze gerade auf dem Kopf – kamen in der Messe zusammen.
    Als sie alle saßen, kündigte De Haan an, dass sie bis 16.00 Uhr wieder im Konvoi zurück seien.
    »Hast du nicht gesagt«, fragte Ratter, »dass wir Luftsicherung bekämen?«
    »Ja, das stimmt, aber wie du siehst …«
    »Die sind in Schwierigkeiten«, sagte Kovacz. »Wir können froh sein, dass wir überhaupt etwas haben.«
    »Richtig«, sagte Mr. Ali. »Die Acht-Uhr-Nachrichten hatten so einen gewissen Unterton.«
    »Was für einen Unterton?«, fragte Shtern.
    »Den Verliererton. ›Feindliche Angriffe in großer Truppenstärke‹, ›Britische Streitkräfte halten die Stellung.‹ Was sie 40 über Frankreich gesagt haben.«
    »Und wenn sie Sphakia verlieren?«, fragte Ratter.
    »Werden sie es uns wissen lassen«, erwiderte De Haan.
    Ratters Grinsen sollte sagen, Bist du da so sicher?
    »Stellen wir uns jedenfalls darauf ein«, sagte Kovacz. »Was sie auf Kreta haben, sind britische und griechische

Weitere Kostenlose Bücher