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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Truppen, die vor drei Wochen vom Peloponnes evakuiert wurden. Einige von ihnen sind schon von Albanien aus unterwegs, und Sie wissen ja wohl, was ein Rückzug bedeutet – Chaos, verlorene Waffen, vermisste Offiziere, defekte Fahrzeuge. Die halten auf Kreta nicht die Stellung, die stehen mit dem Rücken zur Wand.«
    »Sie haben es gesehen, Mr. Kovacz, 39?«
    »Einiges. Und das hat mir gereicht.«
    »Möglicherweise halten sie sich«, sagte De Haan. »Die geben sich jedenfalls noch nicht geschlagen. Noch Kaffee, Herr Dr. Shtern?«
    »Ja, gern.«
    »Da gibt's auch Sahne und Zucker – greifen Sie besser zu, so lange der Vorrat reicht.«
    Shtern nahm einen Löffel Zucker. De Haan fragte Ratter, wie Cornelius zurechtkomme – der Messejunge arbeitete jetzt an Patapoufs Stelle als Küchengehilfe.
    »Kann ich nicht sagen. Dieser Koch murmelt den ganzen Tag etwas vor sich hin, aber das hat er schon immer getan. Das Essen ist dasselbe.«
    »Dieser Koch«, sagte Shtern, war sich dann aber unsicher, wie er es formulieren sollte.
    Mr. Ali lachte. »Darf ich rauchen?«, fragte er.
    »Unter Deck selbstverständlich«, sagte De Haan.
    Ali steckte eine Zigarette in seinen Halter. »Das Leben auf See, Herr Dr. Shtern. Sie werden sich dran gewöhnen.«
    Es klopfte an das Messeschott, und einer der Wachmatrosen erschien, Fernglas um den Hals. »Herr Kees fragt nach Ihnen, Herr Kaptän.«
    Der Matrose war ziemlich aus der Fassung, und aller Augen ruhten auf De Haan. Dem der Seufzer im Halse stecken blieb, weshalb er nur sagte: »Bin gleich zurück«, bevor er seine Untertasse auf die Tasse setzte. Im Aufstehen sah er auf die Uhr – für eine Stunde, nicht länger, war so etwas wie Normalität eingekehrt.
    An Deck starrten ein Dutzend Besatzungsmitglieder schweigend aufs Meer hinaus, wo sich eine schwarze Rauchsäule siebzig Meter hoch in den dunklen Himmel erhob, dichter Rauch, von starken orangefarbenen Flammen emporgewirbelt, die darunter brodelten. De Haan streckte die Hand aus, und der Matrose gab ihm das Fernglas. Es war der griechische Tanker Evdokia, der achtern im Sinken begriffen war.
    Als er die Brücke erreichte, sagte Kees: »Das war unser Torpedo, wissen Sie. Hab mich schon gefragt, wo er geblieben ist.«
    »Überlebende?«
    »Keine gesehen. Falls es welche gab, wird die Navy sie aufgesammelt haben.«
    Vierzehntausend Tonnen Treibstoff, Flugbenzin, was immer sie geladen haben mochten. Die See rund um die Evdokia war von brennendem Öl bedeckt.
    »Sie nehmen sich immer einen Tanker vor, wenn sie einen erwischen können«, sagte Kees.
    Das stimmte. De Haan hatte von Konvois gehört, bei denen ein Tanker buchstäblich zwischen zwei Zerstörern angeseilt war. Er hob den Feldstecher an die Augen und suchte die brennende Wasserfläche ab, doch alles, was er entdecken konnte, war ein umgekipptes Rettungsfloß mit altersfleckiger Oberfläche.
    Er gab den Feldstecher an den Matrosen zurück. »Es könnte trotzdem jemand im Wasser sein«, sagte er.
    »Zu Befehl, Herr Kaptän«, antwortete der Matrose. Er schluckte einmal und wandte sich wieder seinem Wachdienst zu.
    De Haan kehrte in die Messe zurück.
    Später übernahm er die Vier-bis-acht-Wache und navigierte die Noordendam durch das Gewitter. Wie ein Schwein, das sich suhlt, pflügte sie mit ihrem ganzen Gewicht durch die Wellentäler, indem sie erst mit der Nase in die heranbrechenden Wogen stieß und sich dann darüber wälzte. Als Ratter heraufkam, um ihm zu helfen, sichteten sie die Ellery etwa eine Meile hinter dem Konvoi, und der Zerstörer änderte den Kurs, um sie hereinzudirigieren. Während sie hinter der Maud McDowell Position bezogen, sahen sie, wie sie vom Blitz getroffen wurden und wie einen Augenblick lang ein blauer Feuerball auf dem Blitzableiter auf der Mastspitze tanzte. Was offenbar funktionierte und die Ladung nach unten in die See und nicht in die Frachträume ableitete. Wäre es zu Letzterem gekommen, hätten sie es erfahren.
    Während das Gewitter über sie hinwegzog, kehrte De Haan in seine Kajüte zurück, wo er zu schlafen versuchte. Er war am Ende seiner Kräfte – vollkommen erschöpft, und diverse Körperregionen pochten und taten weh. Also schlaf endlich, sagte er sich. Aber er konnte nicht. Schlaflosigkeit war tatsächlich nichts Neues für ihn. Als Kind hatte er sich selber ausgetrickst, indem er sich vorstellte, er sei auf einem Zug, im letzten Wagon, in dem lauter Betten standen, wo alle, die er kannte, sicher lagen und schliefen und wo

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