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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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eigentümliche Weise, und wenngleich die Decke sie sittsam umhüllte, verriet Wilhelms Staffelei, was sich darunter verbarg. In kräftigen Bleistiftstrichen mit Schraffuren wölbte sich ihre Hüfte, während sie nach einer Orange in einer Schale neben dem Diwan griff. De Haan suchte nach der Schale, fand an der Stelle aber nur einen Stapel Bücher.
    »Wir hatten uns schon gefragt, wann wir Sie wiedersehen«, sagte Wilhelm, nunmehr auf Holländisch. De Haan drehte ihr den Kopf zu, während sie sprach – er hatte sein Gehör auf einer Seite nur teilweise wiedergewonnen.
    »Um ein Haar hätten Sie mich überhaupt nicht wiedergesehen«, sagte er. »Sie versteht kein Holländisch, oder?«
    »Nein.« Der Gedanke hatte etwas Komisches. »Ich denke, nicht.« Sie goss den Tee zur Gänze ein und ließ ihn ziehen. Während von den Blättern in beiden Gläsern eine ätherische Wolke aufstieg, holte sie aus der Tasche ihres verblichenen Baumwollhemds eine Zigarette hervor. »Mögen Sie eine?«
    Es war eine Gauloise – im Jargon der britischen Seeleute eine golliwog  –, und De Haan zündete sie sich mit besonderem Gusto an. »Und, wie lebt sich's hier?«, fragte er.
    »Wir sind, wie sagt man gleich, voll in Kampfhandlungen verwickelt – ist das der militärische Ausdruck?«
    »Ja.«
    »Leila, Liebes«, sagte Wilhelm, »ich glaube, das Wasser ist jetzt heiß.«
    Leila drückte ihre Zigarette aus, warf Wilhelm ein verschwörerisches Lächeln zu – meinetwegen lasse ich dich mit ihm allein – und tappte nach nebenan. Wenig später war die Dusche zu hören.
    »Jedenfalls freut es mich, Sie zu sehen«, sagte Wilhelm.
    »Ich musste mal von diesem verdammten Schiff runter«, sagte De Haan. »Wir haben Order, vorerst hier zu ankern, aber ich gehe davon aus, dass wir schon bald wieder auslaufen werden.«
    »War es sehr schlimm?«
    De Haan war erstaunt, doch offenbar sah man es ihm an. »Wir waren im Krieg«, sagte er. »Ein paar Mal war es ziemlich knapp. Andere hat's viel schlimmer getroffen, aber es war schlimm genug. Auf Deck hat ein Panzer, Teil unserer Fracht, Feuer gefangen – wir waren nicht sicher, wie es dazu gekommen ist, vielleicht ein Flugabwehrtreffer –, und wir haben zwei Schläuche draufgehalten, eine Menge Wasser, aber jedes Mal, wenn wir aufgehört haben, glühte er wieder rot. Die Leute in Alexandria hatten ihn vollgetankt an Deck gebracht, ganz und gar verrückt so was, und die Munition ging ständig los. Wir hätten ihn über Bord werfen sollen, aber wir kamen nicht nahe genug ran, und außerdem war er zu schwer. Das Deck heizte sich auf, und wir hatten Bomben da drunter.«
    »Wurde jemand verletzt?«
    »Vorher, wir haben einen Mann verloren.«
    »Das tut mir Leid, Eric.«
    »Ja, mir auch, aber wir können von Glück sagen, dass es nicht mehr sind.« Er glaubte an die moderne Idee, dass es gut sei, über schlechte Erfahrungen zu reden, doch jetzt sah er, dass es im Grunde nicht so war, zumindest nicht für ihn.
    »Wie meinen Sie das, ›voll in Kampfhandlungen verwickelt‹.«
    »Na ja, da ist was richtig Großes im Gange, wir sind nur ein kleiner Teil davon, aber wir haben die Hälfte der Angestellten im Elektrizitätswerk bestochen.« Sie zögerte, bevor sie mit ironisch düsterer Stimme sagte: »Wer weiß«, als gäbe sie eine Gespenstergeschichte zum Besten.
    »Das kommt von Leidens Büro?«
    »Nein, diesmal sind es die Briten. Wir sind entweder befördert oder degradiert worden, oder wir haben nur eine neue Führung, das ist schwer zu sagen. Egal, was es nun ist, auf jeden Fall ist es gewachsen, und sie fragen uns ständig in diesem typischen barschen Ton, ob wir uns Hilfe besorgen könnten. Was gar nicht so einfach ist, aber wir haben es versucht. Und haben uns mehr als einen Korb geholt, was den armen Hoek zur Verzweiflung bringt.«
    »Kann ich etwas tun?«
    »Ich bezweifle, dass Ihnen das gefallen würde. Vielleicht Ihr Glück, die Polizei war nämlich schon da. Irgendjemand ist ganz und gar nicht froh.«
    »Die marokkanische Polizei?«
    »Die spanische. Jedenfalls behaupten sie, von der Polizei zu sein, halten einem eine Dienstmarke hin, aber …«
    »Was wollen sie denn?«
    »Sie fragen einen nach Wie-hieß-er-noch, von dem man noch nie was gehört hat. Ich hab den Eindruck, sie wollen sich nur Zutritt zum Haus verschaffen und einem ein bisschen Angst einjagen.«
    »Und gelingt es ihnen?«
    »Selbstverständlich tut es das, diese Kerle im Anzug, sehr ernst, da fragt man sich, was sie

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