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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Brasserie. »Und jetzt nach Hause«, hatte sie ihm zugeflüstert, als l' addition auf einem Silbertablettchen kam. Diese Rechnung barg in De Haans Augen eine charakteristisch gallische Pointe, da sie viel zu niedrig war und nirgends die Kir Royals und den Champagner aufführte. Wie's aussah, waren sie Ehrengäste gewesen, aber nicht allzu sehr geehrt – man aß schließlich nicht umsonst, das war keine Ehre, das war Dekadenz.
    Inzwischen war es sehr spät geworden, die Tische größtenteils schon leer, und der propriétaire hielt ihnen beim Verlassen die Tür auf und ließ die frische Aprilluft herein. De Haan bedankte sich bei ihm, der Mann schüttelte ihm die Hand und sagte: »Au revoir , a bientôt .«
    Auf Wiedersehen, bis bald.
    1. Juni. Rue de Marine, Tanger.
    De Haan fand das Büro in einem schönen alten Gebäude in einer Nebenstraße der Petit Socco. Ein Paternoster ächzte leise auf der Fahrt nach oben, immer hübsch sachte ein Geschoss nach dem anderen, bis in den dritten, den obersten Stock, wo am Ende eines Flurs mit Handelsniederlassungen und Schifffahrtsagenturen an einer Glastür M. J. Hoek und unter einer schwarzen Linie Commerce D' Exportation zu lesen war. Hoeks Sekretärin, eine Französin in den Vierzigern, wusste genau, wer er war. »Ah, da sind Sie ja, er wartet schon auf Sie.« Damit führte sie ihn zügig einen Flur entlang und zog dabei einen Schwall Schweiß und Parfüm hinter sich her. »Kapitän De Haan«, meldete sie, nachdem sie die Tür zu einem Bürozimmer geöffnet hatte. Ein großes Zimmer mit großen, beschlagenen Fenstern, durch die man auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Gebäude der Compagnie Belge De Transports Maritimes erkennen konnte, dessen Name quer über das Kalksteingesims eingemeißelt war.
    Hoeks Reich war voll gestopft, doch behaglich – Aktenschränke aus Holz mit stapelweise Korrespondenz, die darauf wartete, ordentlich abgelegt zu werden, ein schwarzes Ungetüm von einem Safe aus dem neunzehnten Jahrhundert, Wirtschaftsmagazine und Adressbücher, die Regale bis unter die Decke füllten, wo sich mit einem leisen Quietschen bei jeder Runde ein gewaltiger Ventilator langsam drehte. Das Ganze von einem wuchtigen Schreibtisch zwischen den Fenstern beherrscht, an dem Marius Hoek auf einem Drehstuhl saß. Seine Miene erhellte sich, als die Tür aufging und er sich um den Tisch herumrollte, um De Haan zu begrüßen. »Das beste Büromobiliar, das je erfunden wurde«, sagte er. Der Rollstuhl stand, wie De Haan bemerkte, in einer Ecke.
    »Der Seemann«, sagte Hoek und rollte sich wieder hinter den Schreibtisch, »ist also von großer Fahrt zurück? Soll ich Ihnen einen Kaffee besorgen? Etwas zum Knabbern?«
    »Nein, danke«, sagte De Haan und nahm gegenüber Platz.
    Eine Weile schwiegen sie. Es war, für sie beide, ein langer Monat gewesen, seit sie sich zum Dinner getroffen hatten, und das wurde zwischen ihnen wortlos registriert. Schließlich sagte Hoek: »Sie haben uns telegrafiert, dass Sie kommen würden, irgendetwas mit einem Kurier.«
    »Ja – Pläne für seinen Empfang. Obwohl es auch eine ›Sie‹ sein könnte, wenn ich es recht bedenke.«
    Hoek nickte – man konnte nie wissen. »Details, Details«, sagte er fast mit einem Seufzen. »Wissen Sie, De Haan, ich hatte keine Ahnung …« Er nahm seine Brille ab und rieb sich die Druckstellen am Nasenrücken. »Nun ja«, sagte er und setzte sich die Brille wieder auf. »Sagen wir einfach, es ist mehr Arbeit, als ich mir vorgestellt hatte.«
    De Haan empfand mit ihm. »Und kompliziert.«
    »Hah! Sie ahnen nicht, wie! Oder vielleicht doch. Jedenfalls bleibt mir kaum noch Zeit, meinen Lebensunterhalt zu verdienen.« Und nach einer kurzen Pause: »Vorausgesetzt, ich könnte es noch – die Geschäfte sind nämlich ganz von selbst den Bach runtergegangen, ganz zu schweigen von diesem anderen Blödsinn.«
    »Keine Kundschaft?«, fragte De Haan ungläubig.
    »Oh, an Kundschaft mangelt es nicht, die Kundschaft rennt mir die Bude ein. Alle Welt schreit nach Mineralien, jetzt mehr denn je, und in den Dreißigern haben sie wie verrückt eingekauft, bei all der Wiederaufrüstung. ›Strategisches Material‹, das ist das allgemeine Credo, und sie nehmen, was sie kriegen können. Kobalt und Antimon. Phosphate. Asbest. Blei und Eisenerz. Wie's aussieht, fliegt alles, was man aus der Erde buddeln kann, entweder in die Luft oder verhindert, dass man selber in die Luft fliegt, entfacht Brände oder löscht sie. Es

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