Die Sturmjäger von Aradon - Feenlicht - Die Sturmjäger von Aradon - Feenlicht
Berge. Andernorts regte sich das lebendige Gestein, durchbrach malmend den Boden und stieß seine Hauer in den Himmel. Auf Zahnkronen, wo Moos und manchmal Schnee den nackten Fels überzog, senkte der Nebel seinen Rocksaum und verbarg die Grenzen des Alten Reichs vor neugierigen Blicken.
Am Fuß der Klippen, den starren Augen der Wüste ausgeliefert, lag ein Trümmerhaufen. Vor einer Nacht noch war er ein Schiff gewesen.
Ein trockenes Ächzen bahnte sich den Weg durch die Kehle. Hel wollte ausspucken, was auch immer auf ihrer Zunge klebte, ihren Hals verstopfte, doch sie fand nicht die Kraft. Sand, unter und über ihr.
Bilder durchzuckten sie, Gewittern gleich. Was, was bei allen Geistern war geschehen …? Funken von Lirium verglommen ringsum, die körnige Masse verlor ihre Lebenskraft ebenso rasch, wie sie sie bekommen hatte. Zurück blieb nur Totes. Und Hel.
Irgendwann kehrte ein Licht zurück. Klein und violett. Es
umschwirrte aufgeregt ihre Faust, die sich noch immer um ein glimmendes Medaillon schloss … Das Licht warf winzige Glasscherben durch die Luft, dann schluckte es das Herz mit einem Happs hinunter und verschwand kichernd. Hel sank in Fieberträume.
In der Ferne stand eine Gestalt. Der Umhang flatterte im Nachtwind. Langsam schritt die Gestalt die Dünen herab. Nun konnte Hel sie auch mit ihrem gesunden Auge sehen, vom bleiernen Licht des Mondes umrissen.
Der Fremde ging um die Trümmer. Sein Blick erkundete alles, doch er fasste nichts an, kam nicht näher, blieb nicht stehen. Ruhig setzte er seinen Gang fort. Wie lange war er schon da? War er überhaupt da? Hel wusste es nicht mehr, sie sah so vieles, so vieles … Jureba und ihr Buch, das blaue Lieblingsbuch mit den Flecken. Eine Erde, die sich auftut und weiches Frauenhaar in die Tiefe reißt. Sandwogen, die in den Himmel schießen, durch die Luft flatternde Spielkarten und Gesichter, einst vertraut und nun wie Papiermasken zerfetzt -
Plötzlich knarrte und schabte es. Bewegung brach aus. Dann wurde etwas Schweres zur Seite geschoben. Kalte Helligkeit ergoss sich über Hel. Hände schoben sich unter ihren Körper und hoben sie aus dem Sand. Endlich fiel der Druck von ihrer Brust. Sie schnappte nach Luft, hustete, würgte. Feiner Staub rieselte aus ihrem Mund und Klumpen aus Sand.
»Du lebst«, schwamm irgendwo eine Stimme, fern und doch nah. Hel folgte dem Echo, das bald in der Dunkelheit abtauchte wie ein Schwarm weißer Fische.
Sie träumte. Sie sah die Schwalbe vom Himmel stürzen, aus der Ferne wirkte der Fall beinahe gemächlich. Sandwolken
geleiteten das Schiff zur Erde. Zärtlich zerdrückten die lebendigen Dünen das Holz, ehe die Kiefer mitten im Kauen die Kraft verloren, der Sandmund aufklappte und die Zunge schlaff ins zertrümmerte Schiffsinnere glitt. Der Mond ging unter. Als der Tag nahte, ragte der zerborstene Bauch der Schwalbe aus dem Sand wie ein Gerippe. Das Leben, das das Schiff aus der Luft gerissen und Hels Welt zerschmettert hatte, war geisterhaft verschwunden, so wie es gekommen war.
Hel träumte von einer Kiste voll Stroh, in der sie lebendig begraben war und geschaukelt wurde. Sie tippte mit den Fingern gegen ihr Gesicht, immer einer nach dem anderen, um die Zeit zu messen. Doch bald wusste sie nicht mehr, wie oft sie schon beide Hände durch hatte, und wie viele Finger es in der Dunkelheit überhaupt gab. Auge hatte sie nur eins. Nur eins. Ein Auge und ein Loch, gefüllt mit pochendem Schmerz.
Draußen redeten die Zwerge von einem verfluchten Kind, von einem Kind, das doch eigentlich tot sein müsste mit einer so grässlichen Verletzung - dass die Verletzung grässlich schnell heilte, gewiss war sie verflucht. Hel nannten sie sie: Licht. Aber so hieß sie nicht wirklich. Sie hatte ihren Namen nur vergessen. Vor nicht langer Zeit hatte sie ihn doch noch gewusst … Ein schwarzer Schlund im Boden hatte ihn gefressen, zusammen mit … ja, was? Was hatte sie noch verloren außer einem Auge und der Erinnerung?
Sie schwankte in der Dunkelheit, kannte keine Zeit und hatte Schmerzen …
Jemand bettete sie behutsam auf schwarzes Tuch, das vielleicht der Himmel war. Ein Geruch ging davon aus, kaum wahrnehmbar, mehr Aura als Duft. Etwas Vertrautes aus einer fremden Welt.
Feines Klirren. Hel blinzelte und stöhnte auf, als ihr Rücken brannte. Irgendwo war Tageslicht. Kam das Stechen von Sonnenstrahlen? Konnte Licht Splittern gleich verletzen?
Eine Hand berührte ihre Haut. Eine Hand streifte flüchtig ihre
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