Die Sturmjäger von Aradon - Feenlicht - Die Sturmjäger von Aradon - Feenlicht
die dunkelblaue Jacke, der die Ärmel und Knöpfe fehlten: Die Weste gehörte Arus, einem Sturmjäger der Schwalbe . Hatte Arus sie am letzten Tag getragen? War er irgendwo in der Nähe? Oder war er in dieser Weste gestorben …? Sie biss sich auf die Unterlippe.
»Hast du Schmerzen?«, fragte der Mann. Als Hel keine Antwort gab, drehte er sich um und holte einen ledernen Wasserschlauch zwischen den Felsen hervor. Er ging vor ihr in die Knie und wollte die Weste über sie legen und ihr zu trinken geben, doch Hel wehrte ihn ab.
Verdutzt hielt er inne. Dann legte er Wasserschlauch und Weste zu Boden und verschränkte die Arme auf dem Knie. Er wartete.
Hel aber konnte nicht mehr warten. Mit klammen Fingern schnappte sie sich den Schlauch, riss den Verschluss
auf und trank. Wasser rann ihr aus den Mundwinkeln. Sie schluckte und schluckte, ungeachtet des Stechens in ihren Rippen. Schließlich senkte sie hustend den Schlauch und wischte sich über die Lippen. Fahrig griff sie nach der Weste und drückte sie vor sich. Dabei machte es jetzt auch keinen Unterschied mehr, wie der Fremde sie sah. Wahrscheinlich hatte er sowieso noch viel mehr gesehen, als er sie verbunden hatte … Hel spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Viel, viel schlimmer aber war, dass ihr Auge entblößt war. Sie hielt den Kopf ein wenig schräg, sodass ihre linke Gesichtshälfte im Schatten lag.
»Hast du Hunger?«, fragte er, zog ein Bündel hervor und entfaltete das Tuch. In dunkelgrüne Blätter gewickelte Speisen kamen zum Vorschein, die die Form und Größe von Teigklößen hatten. Er schob ihr das Essen hin.
Hel fühlte sich hungrig, aber zum Kauen war sie zu schwach. Misstrauisch beäugte sie den Händler. Bestimmt hatte er irgendwo Komplizen. Vielleicht gab es auch noch mehr Sklaven, die er in der Nähe untergebracht hatte. Menschenräuber verschleppten ihre Opfer aus allen Teilen der bekannten Welt. Es gab Geschichten über Sklavenschiffe, die aus der Goldbucht am Rand der Wüste segelten und nie wiederkamen. Geschichten von Opfergaben an das Meer … Hel zitterte. Sie konnte sich nichts vormachen. Alle Menschen, die nach ihr gesucht hätten, waren wahrscheinlich tot. Und sie war verletzt. Selbst wenn ihr irgendwie eine Flucht gelang, würde sie nicht weit kommen. Sie wusste ja nicht einmal, wo sie überhaupt war.
»Du wirst schon Hunger bekommen.« Er ließ das Bündel offen zwischen ihnen liegen. Nach einer Weile fragte er: »Was ist mit deinem Auge?«
Sie zuckte zusammen und wäre am liebsten unsichtbar
geworden. Doch dann begriff Hel, dass gerade ihre größte Schwäche sie jetzt retten konnte - und erwiderte zögernd: »Ich bin entstellt. Niemand wird mich kaufen. Ich bin auch nicht geeignet für Arbeit, nicht mal viel Trollfutter ist an mir dran.«
»Warum sollte dich jemand kaufen?«
Hel nickte verwirrt. »Eben.«
Er sah sie schweigend an. Dann knöpfte er die seitlichen Verschlüsse seines Umhangs auf. »Schlaf ein wenig. Wenn du aufwachst, wird das Fieber schwächer sein.«
Ehe Hel es verhindern konnte, breitete er den Umhang über ihr aus. Sie starrte den Fremden an, der unter der Kapuze zum Vorschein kam. Er war kein Mann. Er war ein Junge.
Er konnte nicht viel mehr Jahre zählen als sie. Das Licht verriet eine knochige Nase, einen ernsten Mund und Augen, von dichten Wimpern und Schatten verdunkelt. Über ihrer Eindringlichkeit konnte man fast vergessen, wie schön diese Augen auch waren. Hel fühlte sich benommen. Sie erkannte ihn aus Träumen oder dem Halbschlaf vergangener Tage wieder, und plötzlich schien er ihr vertraut … Hätte sie die Kraft gehabt, sie hätte sich geohrfeigt, um wieder zur Besinnung zu kommen.
»Was tust du da?«, murmelte sie und hatte das Gefühl, die Frage führte nicht im Entferntesten zu dem, was sie eigentlich wissen wollte. Der Junge antwortete auch gar nicht. Er schob Arus’ Weste unter ihren Kopf, fast als hätte das nichts mit ihr zu tun. Sein dunkles Haar war zu einem Knoten zurückgebunden und auf der Stirn, dicht am Haaransatz, sah Hel zwei ineinandergreifende Halbkreise. Als er merkte, dass ihr Blick an dem Zeichen hing, erlosch der Felssplitter hinter ihnen.
Dunkelheit fiel über sie. Der Junge wich zurück, und obwohl Hel sah, wie sein Licht sich fortbewegte, lauschte sie vergebens nach Schritten.
»He! Ich rede mit dir!«
Dann war er weg, ein glimmender Stern zwischen Sternen.
Der Händler
H el war so aufgewühlt und besorgt, dass sie es für ausgeschlossen
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