Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
einen Abt verhöhnt, der lästert die ganze Kirche!«
Von Bretton schüttelte matt den Kopf. »Verzeiht, mein lieber Freund, aber dieses eine Mal kann ich mich nicht der Kirche beugen. Ich wüsste auch keine Stelle in der Bibel, die es einem Sterbenden verbietet, Musik zu hören.«
Anselmus wurde leichenblass. »Ich will Euch nicht drohen, doch es ist nicht klug, sich in der Stunde des Todes gegen die Kirche zu stellen.«
»Du wirst nicht sterben, nicht wahr, Onkel?« Gabriela hielt noch immer die Hand des Generals. Am liebsten hätte sie den grausamen Abt aus dem Fenster geworfen, doch im Angesicht des Todes würde sie auf den General Rücksicht nehmen.
Der Abt wartete einen Augenblick mit zusammengekniffenen Lippen auf eine Antwort des Kommandanten. Als dieser schwieg, wandte er sich schließlich abrupt um und winkte dem Mönch. »Lasst uns gehen, Bruder! Dieser Narr hat beschlossen, noch im letzten Augenblick die Pforte des Paradieses zu fliehen. Möge Gott ihm gnädig sein.«
Die Musik war inzwischen vollends verstummt. Gabriela winkte dem Arzt, zum Fenster zu eilen. »Sorgt dafür, dass sie wieder spielen! Die Musik hat meinen Onkel aus seinem Schlaf gerissen. Vielleicht vermag sie ihm auch seine Kraft wiederzugeben.«
Der Regimentschirurg schüttelte den Kopf. »Musik vermag keine Leben zu retten! Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede. Oft genug habe ich im Lazarett den Tod an mir vorüberschreiten spüren. Er ist ein alter Kamerad für mich. Doch ich werde in jedem Fall den letzten Willen meines Generals würdigen.« Er beugte sich aus dem Fenster und rief mit lauter Stimme. »Los, Kerls! Spielt, bis euch die Finger abfallen!«
Gabriela beugte sich über ihren Onkel und strich ihm das schweißnasse Haar aus der Stirn. »Nicht wahr, du wirst mich nicht verlassen … «
Von Bretton lächelte matt. »Das entscheidet der Herr, unser Gott. Doch … Ich glaube, wenn es nicht zu viel Mühe macht, würde ich gerne ein wenig frische Fleischbrühe zu mir nehmen. Ich fühle mich wie ein halb verhungerter Wolf.«
1 2. KAPITEL
Es dauerte bis weit in den Frühling hinein, ehe der General den Mut fand, seinen ersten Spaziergang zu machen, der ihn bis über die Mauern der Stadt hinausführte. Von Bretton fürchtete, dass seine alte Kraft nie wieder zurückkehren würde.
Dem Tod ins Antlitz zu schauen und noch einmal zu den Lebenden zurückzukehren, war etwas, das nur den wenigsten vergönnt war. Der Preis dafür war nicht allein, dass er sich nun ein wenig schwerer auf seinen mit Gold beschlagenen Offiziersstab stützte. Seine Freundschaft mit dem Abt Anselmus war zerbrochen. Nicht einmal war er seither zur Beichte gegangen, doch davon abgesehen, bemühte sich der Kommandant, ein noch gottesfürchtigeres Leben als zuvor zu führen.
Aus den Augenwinkeln musterte von Bretton Gabriela. Sie war ruhiger geworden. Seit seiner Krankheit hatte sie nichts mehr unternommen, was ihn verärgert hatte. Sie trug das kornblumenblaue Kleid, das er ihr im letzten Jahr geschenkt hatte. Bretton dachte an das große Fest. Keine zehn Tage würde es mehr dauern, bis es so weit war. Schon jetzt kamen aus allen Himmelsrichtungen Gäste nach Olmütz. Fahrendes Volk, Gaukler und Schauspieler.
Am Morgen war ein Bote der Kaiserin eingetroffen und hatte die Nachricht gebracht, dass sogar einer der jungen Prinzen während der Feierlichkeiten zugegen sein würde. Auch wurde darüber gemunkelt, dass man ihm den Orden vom goldenen Vlies verleihen wolle.
»Ist es nicht an der Zeit, ein wenig zu rasten, Onkel? Dort im Schatten der Weiden scheint mir eine gute Stelle zu sein.«
Bretton lächelte ein wenig gezwungen. »Gut, meine Liebe.« Er war kein Greis und wollte nicht wie ein solcher behandelt werden, doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, so hatte ihn der lange Weg aus der Stadt heraus und über die Brücke angestrengt. Gabrielas Vorschlag war zweifellos vernünftig.
Seine Nichte breitete eine dünne Decke im Gras aus und half ihm, sich an den Stamm gelehnt niederzulassen. Von hier aus hatte man eine gute Sicht auf Olmütz. Der hohe Zwiebelturm des Rathauses und der prächtige Wenzelsdom auf dem Fürstenberg dominierten das Stadtbild. Rot leuchteten die Ziegeldächer der Bürgerhäuser. Schon jetzt hatte man viele Straßen mit bunten Girlanden geschmückt, graue Fensterläden, von denen die Farbe abgeblättert war, wurden neu gestrichen, und der Stadtrat hatte den Befehl gegeben, alle Straßen und Hinterhöfe zu säubern.
Stolz
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