Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
Wahrheit seiner Worte so deutlich vor Augen geführt worden.
Neben der Tür kauerte Branko und sah sie mit großen, rot geäderten Augen an. Er war der Einzige hier auf dem Flur, der Tränen um ihren Onkel vergossen hatte. Noch ehe sie ein Wort sagen konnte, kam der Abt auf sie zu. Straben hatte nach ihm schicken lassen, ohne ihren Onkel auch nur gesehen zu haben. Gabriela wünschte, sie hätte sich nicht dazu verleiten lassen, dem Regimentschirurgen den Zutritt zum Krankenzimmer zu verwehren. Nach dem Streit mit Gregorius vor zwei Tagen hatte sie beschlossen, Straben nicht mehr hereinzulassen. Seine Behandlung mit den endlosen Aderlassen erschien ihr sinnlos. Ja, sie war überzeugt, dass er mindestens zu einem Teil Schuld am Zustand ihres Onkels trug. Gestern schien es dem Kommandanten bessergegangen zu sein. Das Fieber hatte aufgehört, und ein wenig Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, doch hatte sie ihn nicht zu wecken vermocht. Als er heute Nachmittag immer noch schlief, und seine Haut sich plötzlich kalt anfühlte, war sie zur Stube des Regimentsarztes gelaufen, um Straben an das Krankenlager zurückzuholen.
»Wie geht es Ihrem Onkel, Fräulein von Bretton?« Leise wie ein Schatten war der schwarz gewandete Abt an ihre Seite getreten.
»Straben meint, es sei … Sie … Sie sollten ihm die letzte Ölung geben, weil … « Ihr versagte die Stimme. Fra Anselmus legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.
»Die Wege des Herren sind unergründlich, mein Kind. Wenn er beschlossen hat, Euren Onkel zu sich zu rufen, dann müssen wir uns seinem Willen fügen. Auch mich schmerzt es, meinen alten Freund auf dem Sterbebett liegen zu sehen … Doch seid gewiss, dass ihm die Pforten des Himmelreichs nicht verschlossen bleiben werden. Ich kannte nur wenige Soldaten, die so gute Christenmenschen wie Euer Onkel waren. Glaubensstärke und Milde sind zwei Tugenden, die von den meisten, die das Kriegshandwerk betreiben, nur belächelt werden.«
Gabriela fragte sich, ob ihr Onkel dem Jesuitenabt jemals gebeichtet hatte, was Juliette geschehen war. Und selbst wenn er das getan hatte, schien er deshalb kein ruhiges Gewissen zu haben. Warum sonst hätte er solche Angst gehabt, als er glaubte, dem Geist der Französin zu begegnen?
Gabriela öffnete die Tür ein Stück weiter, damit Anselmus eintreten konnte. Sie sollte sich schämen, in der Stunde des Todes solche Gedanken zu haben! Es wäre besser, stattdessen dafür zu beten, dass ihr Onkel noch einmal zu Bewusstsein käme, bevor er seine letzte Reise antrat, damit er Gelegenheit hatte zu beichten.
In Gedanken sah sie wieder das Bild auf dem Speicher. Warum ließ sie die Erinnerung an die Französin nicht los, dachte Gabriela verzweifelt. Sie konnte um ihren Onkel nicht weinen … Damals, als ihre Mutter und ihr Bruder gestorben waren, hatte sie all ihre Tränen vergossen. Doch könnte sie nicht wenigstens trauern, statt über den Sünden ihres Onkels zu brüten? Der Abt und der Arzt mussten sie ja für völlig herzlos halten!
Anselmus betrachtete von Bretton eingehend und flüsterte dann etwas zum alten Straben. Schließlich wandte sich der Jesuit wieder zu ihr um. Wenn er jetzt nach dem jungen Mönch rufen würde, der noch vor dem Zimmer wartete … Der Mönch trug ein Kästchen aus poliertem schwarzem Holz. Es enthielt wahrscheinlich die Utensilien zur letzten Ölung.
»Gibt es noch Hoffnung für meinen Onkel? Was hat der Arzt zu Euch gesagt?«
Der Abt lächelte. »Kennt Ihr denn nicht den Brief, den Jakob, der Knecht Gottes, an die zwölf Stämme richtete? Dort heißt es: Ist einer von Euch krank? Dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet würde den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben. Darum bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet. Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten. Verloren ist nur der, der sich gegen Gott verschließt und sein Herz verhärtet. Öfter als nur einmal habe ich selbst gesehen, wie ein aufrichtiges Gebet am Lager eines Sterbenden noch ein Leben zu retten vermochte, wo die Kunst des Arztes längst an ihre Grenzen gelangt war. Ich werde nun im ordo commendationis animae , dem Buch der Sterbegebete, nach Worten suchen, die zu Eurem Onkel passen mögen. Euch aber rate ich, öffnet Euer Herz und lasst den Worten, die sich in
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