Die Suche nach dem Drachenring (German Edition)
unterste Fach enthielt eine Schatulle. Vorsichtig nahm Phil sie heraus und stellte sie auf den Boden. Der Verschluss ließ sich leicht öffnen. Mit zitternden Fingern durchwühlte Phil den Inhalt, aber der bestand nur aus einigen Schmuckstücken. Die meisten davon hatte er früher bei seiner Großmutter gesehen.
Schon wollte er die Schatulle schließen, als ihm eine schmale, längliche Schachtel auffiel. Was er darin fand, hätte ihn unter anderen Umständen jubeln lassen: Eingebettet in dunkelblauen Samt lag eine Kette mit einem goldenen Drachenamulett. Der Drache war dem in den Couchtisch von Herrn Sanders eingearbeiteten Tier verblüffend ähnlich. Zwei winzige Smaragde bildeten die Augen.
Phil war sicher, dass das Amulett für ihn bestimmt war. Einen Augenblick zögerte er, dann band er die Kette um und ließ das Amulett unter seinem T-Shirt verschwinden. Was immer auch passierte, dieses vielleicht letzte Geschenk seiner Eltern durfte ihm keiner nehmen.
Er räumte alles weg, anschließend rief er Lu. Nur ein paar Minuten vergingen, bis der Kleiderschrank wieder an seinem Platz stand und nichts darauf hindeutete, dass es jemals anders gewesen war.
Gemeinsam gingen sie hinunter in die Küche.
„Haben Sie gefunden, wonach Sie gesucht haben?" Lu füllte Phil Obstsalat auf, der Kühlschrank summte zufrieden.
„Keine einzige DVD", erwiderte Phil mit spröder Stimme.
Mit bloßen Händen holte Lu eine Pizza aus dem Ofen. Sie duftete lecker, doch Phil hatte kaum Appetit.
Beim Schneiden der Pizza fragte Lu nach Herrn Skibinski.
„Arne sitzt noch im Auto. Ich werde ihn dann mal holen."
Arne fragte erst gar nicht, wie die Sache ausgegangen war. Er schaute Phil an und sagte: „Tut mir sehr leid für dich."
Phil spürte, dass es ehrlich gemeint war.
„Und was ist das?" Arne deutete auf die Goldkette, von der ein Stückchen oberhalb des Halsausschnittes zu sehen war.
Ihm entgeht aber auch nichts, dachte Phil und zog das Amulett hervor. „Ich vermute, dass ich damit die Figuren in dem Spiel steuern könnte. Ich hatte mir einen Drachenanhänger gewünscht."
„Anscheinend hat der Drache im Büro von Herrn Sanders dafür Modell gestanden." Auch Arne war die Ähnlichkeit also aufgefallen.
Während sie aßen, wurde Lu über den Stand der Dinge aufgeklärt. „Lu, du kennst dich doch bei uns am besten aus. Hast du eine Ahnung, wo ich noch suchen könnte?"
„Bedaure, aber wenn es in diesem Haus ein Computerspiel mit dem Titel Die Suche nach dem Drachenring oder einen Digitalisierer gäbe, hätte ich Sie umgehend informiert. Herr Skibinski hatte mich bereits mit der Nachforschung beauftragt."
Phil murmelte etwas von „viel zu tun" und ging in sein Zimmer. Dort warf er sich aufs Bett und vergrub das Gesicht im Kissen. Erst gegen Abend raffte er sich auf und machte wenigstens die schriftlichen Hausaufgaben.
Der Dienstag in der Schule zog sich hin. Träge kroch der Minutenzeiger über das Ziffernblatt der Armbanduhr, auf die Phil alle fünf Minuten starrte.
Als es endlich zur großen Pause klingelte, beeilte sich Phil, den stickigen Klassenraum zu verlassen. Auf dem Flur lief er Frau Bratke in die Arme.
„Gut, dass ich dich treffe, Phil, ich habe etwas für dich." Umständlich kramte Frau Bratke in ihrer Aktentasche. Phil hielt die Luft an. Sollte sie etwa eine Kopie des Spiels besitzen? Das war doch nicht möglich. Oder doch?
„Da in Kürze die Ferien beginnen und du momentan eine schwierige Zeit durchmachst, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, dich ein bisschen aufzumuntern. Schau mal, hier ist die Anmeldung für ein wunderbares Abenteuer-Feriencamp. Was hältst du davon?" Frau Bratke drückte Phil ein glänzendes Prospekt in die Hand, auf dessen Vorderseite ihm begeisterte Gesichter aus einem knallroten Schlauchboot entgegenlachten, das auf einem reißenden Fluss auf einen Wasserfall zusteuerte. „Die Plätze sind eigentlich schon vergeben, aber ich würde eine Möglichkeit finden, dich noch unterzubringen."
„Oh, das sieht wirklich vielversprechend aus. Aber zurzeit habe ich eine Menge Ablenkung."
„Verstehe. Ich will dich auf keinen Fall dazu überreden, dieses fantastische Angebot anzunehmen. Überleg es dir in Ruhe und gib mir dann Bescheid, einverstanden?"
„Ja, ähm ... danke."
„Keine Ursache, Phil. Und nun geh an die frische Luft. Du siehst schlecht aus."
Mit dem Prospekt in der Hand schlenderte Phil über den Schulhof. Wer nicht am Volleyballnetz spielte oder herumstand, hatte
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