Die Suche nach dem Drachenring (German Edition)
Leo
„Möchtest du trotzdem etwas essen?"
„Hunger hätt' ich schon. Es ist nur ..." Leo ächzte. „Ich ... ich sitze hier gerade sehr gut."
„Ist doch kein Problem." Frida reichte ihm Brot und Schinken nach oben. Es kostete Leo sichtlich Überwindung, eine Hand von dem Ast zu lösen, und seine Haltung sah alles andere als bequem aus. Trotzdem machte er keine Anstalten, seinen Platz aufzugeben.
„Gibt's auch etwas zu trinken?", fragte Phil zaghaft.
„Was hältst du von frisch gemolkener Schafsmilch, schön sahnig und warm?"
„Einfaches Wasser würde mir reichen." Phil schüttelte sich innerlich.
Lachend warf Frida den Kopf in den Nacken. „Dachte ich mir. Siehst du den Brunnen dort drüben?" Ihr Arm zeigte auf einen ovalen Bottich, an dessen Ende eine Wasserpumpe mit einem langen, gebogenen Hebel aus dem Boden ragte. „Du kannst das Wasser ohne Bedenken trinken.
Hier!" Sie öffnete eine flache, runde Schachtel, in der mehrere immer kleiner werdende Ringe ineinander lagen. „Wenn du den äußersten Ring nach oben ziehst, erhältst du einen Becher, genau so." Frida reichte ihm den fertigen Becher. „Du darfst ihn gerne behalten, ich habe noch mehr davon."
Das Wasser aus der Pumpe schmeckte angenehm frisch. Als Phil das Gefühl hatte, dass nichts mehr in ihn hineinpasste, füllte er den Becher und brachte ihn zu Leo, der, noch immer auf dem Ast klebend, einen jämmerlichen Anblick bot.
Nachdem Leo das Wasser in sich hineingeschüttet hatte, flüsterte er: „Kannst du mir unauffällig hier runter helfen?"
„Wieso, du machst dich wirklich gut auf dem Ast. Außerdem, wer passt dann auf uns auf?" Phil bemühte sich um einen ernsten Ton.
„Bitte lass mich jetzt nicht hängen!" Leo sah hinüber zu Frida, die ihm zuwinkte.
Phil wartete, bis Frida in eine andere Richtung schaute, bevor er leise Anweisungen gab. „Du musst es irgendwie auf den unteren Ast schaffen, danach sehen wir weiter."
Es dauerte eine geraume Zeit, bis Leo endlich auf dem untersten Ast saß, dessen Spitze nun beinahe die Erde berührte. Eilig schob Phil den Becher zusammen und verfrachtete ihn in die Hosentasche. „Jetzt gib mir beide Hände."
„Aber wenn ich mich nicht festhalte, falle ich sofort runter", rief Leo ängstlich.
„Wenn du noch länger wartest, wird das ohnehin ..." Phils Worte gingen in einem ohrenbetäubenden Schrei unter.
Im nächsten Augenblick krachte Leo mitsamt dem Ast auf ihn herunter. Der Aufprall war so stark, dass ihm für einen Moment schwarz vor Augen wurde.
Als er wieder zu sich kam, fiel sein Blick sofort auf das abgebrochene Ende des Astes. Es lag zusammen mit Leo auf seiner Brust und war blutrot gefärbt.
Phil wagte nicht daran zu denken, mit wessen Blut das Holz getränkt war. Er vermochte kaum zu atmen. Erst nachdem Leo sich aufgerappelt hatte, wurde es besser. Leo beugte sich über ihn. „Lebst du noch?"
„Ich weiß nicht", ächzte Phil. „Ich glaub, ich blute."
Frida befreite ihn von dem Ast und tastete ihn behutsam ab. „Scheint nichts gebrochen zu sein." Erleichtert half sie Phil beim Aufstehen.
Zwar hatte Phil das Gefühl, Pudding in den Beinen zu haben, doch abgesehen von einer längeren Schramme auf seinem linken Arm war er unversehrt. Sogar sein T-Shirt war nahezu sauber geblieben.
„Und woher stammt das Blut?" Verblüfft deutete Phil auf den Ast.
Vorsichtig berührte Frida die frische Bruchstelle. „Das ist eine Purpureiche, ihr Holz ist von blutroter Farbe."
Ein leises Stöhnen ließ sie aufhorchen. „Oh, es ist der Baum. Er hat Schmerzen, der Ärmste."
„Dann war er es, der so gebrüllt hat?", fragte Leo misstrauisch.
„So ist es", sagte Frida und untersuchte Phils Schramme. „Ich habe ein gutes Desinfektionsmittel mit heilender Wirkung."
Sie ging zu ihrer ledernen Umhängetasche. Phil dachte an die Wasserstoffperoxidlösung, mit der seine Mutter immer die Wunden behandelte. Eine schmerzhafte Angelegenheit. Er hoffte inständig, dass dieses Mittel hier unbekannt war.
Mit einer braunen Flasche kam Frida zurück. „Das ist Zwiebelsaft. Wenn ich hier draußen bin, habe ich ihn stets dabei, weil sich die Schafe manchmal verletzen. Er wirkt unheimlich schnell, hat nur einen kleinen Nachteil: Der Saft, nun ja, er ... zwiebelt ein wenig."
Als Phil im nächsten Augenblick glaubte, sein linker Arm stünde in Flammen, sehnte er sich nach Wasserstoffperoxid.
Mitfühlend sah Frida ihn an. „Hältst du es noch aus?" Sie tupfte die Haut neben der Wunde mit einem Tuch
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