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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Sekretär einen Brief. Es war ein verzweifelter Brief, den sie in aller Eile an ihren Bruder, den englischen König, schreiben ließ. Rings um sie saß ein Dutzend ihrer Damen, und alle waren blaß, weil man sie mit Schimpf und Schande nach Haus schickte. In den Vorzimmern, den Küchen, den Vorratsräumen und den Ställen des alten Steinhauses unterhielten sich entsetzte und benommene Männer und Frauen. Wer würde für ihre Heimfahrt aufkommen? Welcher andere Haushalt würde sie einstellen? In England gab es Gesinde in Hülle und Fülle. Musikanten, Köche, Stallknechte würden vielleicht nie wieder eine Anstellung finden. Die acht Trompeter fanden sich verbittert im Hof zusammen, und ihre Stimmen klangen mutlos. Wie viele Edelleute waren schon so bedeutend, daß sie Trompeter brauchten? Aus den höchsten Höhen, dem Dienst bei einer Königin, waren sie mit den übrigen in die tiefsten Tiefen gestürzt.
    »Ich muß ihnen etwas zahlen…« Die Königin unterbrach sich mitten im Brief. »Wie sollen sie zurechtkommen? Sie haben mir treu gedient.«
    »Ihr müßt den König von Frankreich bitten, daß er für ihre Heimreise aufkommt«, sagte der Sekretär und blickte von seinem Schreiben auf.
    »Was auch immer Ihr tut, erzürnt ihn nicht«, setzte eine ihrer Damen hinzu. »Wartet, bis er nach Euch schickt. Dann seid ungemein liebreich und zärtlich. Wenn Ihr fordernd seid, wird er sich gegen Euch verhärten. Geht ihm statt dessen um den Bart. Und dann müßt Ihr lieb bitten…«
    Die völlig verstörte junge Frau schwieg entsetzt. Das also bedeutete es, eine Königin zu sein? Eine Bettlerin, umgeben von intrigierenden Ausländern? Warum hatte ihr das niemand gesagt? Warum hatte sie das nicht geahnt?
    »Aber ich brauche meine Mutter Guildford. Wer berät mich, wenn niemand in meiner Nähe ist, der älter und klüger ist als ich? Oh, wenn doch nur Mylord of York hier wäre. Er ist so gerissen, er würde den König gewiß davon überzeugen, daß er meine gute Mutter Guildford nicht wegschicken darf.« Außer sich blickte sie umher. Ihr war zumute, als erstickte sie. O ja, der Brief. Sie mußte es dem König erzählen, ihrem Bruder. Die Nachricht hatte Mutter Guildford aufs Krankenlager geworfen, und da sie jetzt ohne ihre verläßliche Stütze auskommen mußte, hatte die mädchenhafte Königin bereits eine Vorahnung davon, wie verloren und fremd sie sich ohne sie vorkommen würde.
    »Ihr müßt an Mylord of York schreiben, wenn der Brief an den König fertig ist. Ein Weilchen ist Euch seine brüderliche Zuneigung gewiß, aber Mylord of York ist schlau, dem fällt schon etwas ein, wie wir zu Euch zurückkehren können«, hatte einer ihrer Zeremonienmeister geraten. Ja, es mußte sein. Der Erzbischof von York war gerissen und durchtrieben. Wolsey würde sich etwas furchtbar Schlaues ausdenken. Er würde ihren Bruder beraten. Sie würden den König von Frankreich zwingen, ihr Gefolge wieder in Dienst zu nehmen.
    »Machen wir weiter, wo wir stehengeblieben sind«, sagte sie zu ihrem Sekretär. Sie atmete tief durch und faßte sich. »Sagt ihm, daß ich ganz allein bin, denn am Morgen nach meiner Hochzeit wurden mein Kammerherr und alle anderen männlichen Diener entlassen, desgleichen meine Mutter Guildford mit allen Edelfrauen und Edelfräulein, außer solchen, die mir in Zeiten der Not, da sie selbst unerfahren sind, keinen Rat geben können, und dazu besteht mehr Grund, als Euer Gnaden zur Zeit meines Aufbruchs annahm, wie meine Mutter Guildford Euch genauer berichten wird, als ich Euch schreiben kann, und ich bitte Euch, ihr Glauben zu schenken…« Mutter Guildford mußte König Heinrich die ganze Geschichte unter vier Augen erzählen, auch den Teil, den sie ihm nicht schreiben konnte, der ihn aber bewegen würde, ihr zu Hilfe zu eilen. Er mußte hören, daß ihr Arzt ihr gesagt hatte, daß der französische König höchstwahrscheinlich nicht lange genug leben würde, um sie zu schwängern, daß der rechtmäßige Erbe sie mit Anträgen bedrängte, daß ihre Ehre in Gefahr war, daß Englands großartige Träume sich allmählich in Luft auflösten. O ja, Mutter Guildford mußte ihm alles erzählen. Sie war hier verloren und verlassen an einem Hof, dessen Intrigen sie nicht ausloten konnte. Gewiß würde der englische König Mutter Guildford irgendwie zu ihr zurückschicken, denn nur sie konnte ihr sagen, wie man seinen Weg in diesem Irrgarten fand. Er mußte es einfach tun.
    An diesem Nachmittag schickte der König nach ihr.

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