Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
einfangen.«
    Er stöberte auf den Regalen im vorderen Teil des Ladens herum, in denen viele merkwürdige Schachteln und Päckchen lagen, einige mit unlesbaren alchimistischen Etiketten. Auf seinem Ladentisch lag eine Marmorplatte, auf der er schneiden und Pulver abmessen konnte, und daneben stand eine Waage zum Abwiegen. Durch die geöffnete Tür konnte ich in den hinteren Teil des Ladens blicken und sah seinen Lehrjungen eifrig den Fußboden des langen, vollgestellten Raumes kehren. Getrocknete Fledermäuse, Bündel mit Pflanzen, die wie Unkraut aussahen, und andere seltsame Dinge hingen von der Decke des Hinterzimmers, und dann war da noch ein Schrank mit merkwürdigen Glasgefäßen.
    »Geld jedoch«, fuhr Master Ailwin fort, »ach, Geld – das steht auf einem anderen Blatt. Wer kommt dieser Tage noch zu Geld, ohne die jenseitige Welt ein wenig zu bemühen?« Der Lehrjunge sah auf und erblickte mich im Vorderzimmer. Er tat so, als kehrte er weiter, kehrte dabei jedoch immer näher, so daß er an der geöffneten Tür lauschen konnte. Dann stützte er sich auf seinen Besen und starrte mich an. »Das liegt an den Zahlungsmitteln, die taugen nämlich nichts mehr, taugen dank der Verbrecher im Münzamt überhaupt nichts mehr. Welches Zahlungsmittel taugt dieser Tage überhaupt noch? Alle verfälscht, allesamt. Aber zur Zeit des alten Königs, als es noch ehrenhafte Minister gab –« Master Ailwins Bartspitze sah angesengt aus, und er hatte etwas auf dem Kopf, das einmal eine Kappe gewesen war, und trug ein so verflecktes und altes Lederwams, daß es aus der Zeit König Richards stammen konnte. Wenn man so etwas in der guten alten Zeit getragen hatte, konnte es damals auch nicht viel besser gewesen sein. Ich mußte ihm das Wort abschneiden, sonst gab ich meinen Plan am Ende noch auf und suchte das Weite.
    »Ich brauche einige Dinge, vor allem Farben. Aber die brauche ich von einem so verschwiegenen Menschen wie Ihr –«
    »Das ist verderbt, und Ihr wißt es. Verderbtheit! Bestechung. Verkauf von hohen Ämtern. Aber was kann man erwarten, wenn die Kirche mit schlechtem Beispiel vorangeht, Simonie
    »Heute möchte ich Türkisgrün und Bleiweiß kaufen, Master Ailwin.« Dem Lehrjungen sproß der erste Flaum. Er war ganz knochig und schlaksig, und nichts an ihm wollte richtig zusammenpassen. Mir fiel auf, daß er mich noch immer so anstarrte. Über der Kleidung trug er eine alte, fleckige Schürze, und seine Kniehose war überall geflickt. Was stimmte eigentlich nicht mit mir? Liefen mir jetzt auch noch die Lehrjungen nach?
    »Wozu überhaupt?« Master Ailwin schien plötzlich Verdacht zu schöpfen. »Führt Ihr einem anderen Maler das Haus? Denkt daran, mein Mädchen, der Grat zwischen Anstand und Gosse ist schmal. Die Tugend einer Frau. Sie ist ihre Krone –«
    »Ich male selber, Master Ailwin.«
    »Ihr selber? Also, das ist mir denn doch zu bunt. Im Wolkenkuckucksheim, wo die Hennen krähen und die Hähne Eier legen und die Frösche ›Ringel, ringel, Rose‹ singen, da mögen auch Frauen malen –«
    »Ich verdiene damit gutes Geld, und ich brauche einen Lieferanten.«
    »Ihr verdient gutes Geld? Das ist das Wolkenkuckucksheim. Und wie wollt Ihr der Zunft entgehen?«
    »Indem ich meine Farben bei Euch kaufe und Euch für Euer Stillschweigen bezahle, so nämlich«, sagte ich, denn er brachte mich schier zur Verzweiflung.
    »Ihr wollt mich also bestechen, daß ich die gerechte Ordnung der Welt durcheinanderbringe?« fragte er, legte den Kopf schief und kratzte sich unter der unförmigen, alten Filzkappe.
    »Das hatte ich vor.«
    »Junge Frau, dafür sollte man Euch in Öl sieden. Wißt Ihr eigentlich, was Ihr da von mir verlangt? In einer Welt des Anstands und der Tugend –«
    »Master Ailwin, in jener Welt sollte sich jeder Bedürftige eigenhändig das Brot verdienen dürfen. Soll ich lieber betteln gehen? Ich habe ein Recht darauf, mir zu verdienen, was ich brauche.« Ich war so außer mir, daß ich ihn anschrie. Er blickte mich lange an, so als sähe er mich in einem ganz neuen Licht.
    »Ihr seid beinahe eine von uns«, sagte er. Dann stützte er sich auf den Ladentisch und musterte mein Gesicht eingehend aus der Nähe. »Habt Ihr schon einmal in Gottes Wort gelesen?« fragte er.
    »Das war mir noch nicht vergönnt«, antwortete ich.
    »In der Bibel steht geschrieben, daß in den frühen Tagen der Christenheit, vor der großen Verderbnis, alles allen gemeinsam gehörte. Allen gemeinsam! Das bedeutet, daß alle

Weitere Kostenlose Bücher