Die Suche nach dem Wind
mir wohl gelingen würde, Rhanmarú schlimmstenfalls auch vor dir zu schützen. Ich habe in dieser Nacht nicht genügend bedacht, was ich dir damit antun würde. Du musstest mit deinem schweren Erbe leben oder seinetwegen sterben. Glaub nicht, ich wüsste nicht, wie du mich stets wegen meiner Härte und Strenge verflucht hast. Aber ich musste sichergehen, dass du weder im Zorn, noch in Angst oder Verzweiflung unwillkürlich auf die Macht Loths zurückgreifen würdest. Hätte ich jemals Anzeichen schwarzer Magie bei dir entdeckt, hätte ich dich töten müssen. Und ich hätte es auch getan. Glaubst du, dein Leben wäre leichter gewesen, wenn ich dir das gesagt hätte?«
Er überlegte eine Weile, schüttelte nur stumm den Kopf, und sie fuhr fort: »Meine Hoffnung war, dass du ein halbwegs normales Leben würdest führen können, solange Karon lebte. Wenn der Berg gesprengt wird, ist diese Hoffnung dahin. ... Komm mit!«
Sie erhob sich. Aeneas fand, dass sie noch nie älter und gebrechlicher gewirkt hatte, und folgte ihr hinter den Thron in das Privatgemach der Oberin, das außer ihr niemals jemand betreten hatte. Es fröstelte ihn erneut und er musste unwillkürlich an einen endgültigen Abschied denken.
Sie ging zu einem Schreibtisch, zog einen Schlüsselbund aus der Rocktasche und nestelte an einem Geheimfach, während sein Blick durch den schummrigen Raum glitt und an einem Bild hängen blieb. Es war das Hologram, das in der Ahnengalerie fehlte, und zeigte eine lachende Frau mit wilden, weißblonden Haaren und blauen, funkelnden Augen.
»Du hast ihre Augen«, bemerkte die Oberin mit ungewohnt weicher Stimme. »Und ihre Haare wollten auch nie richtig liegen, waren so widerspenstig wie deine.«
Er betrachtete zum ersten Mal das Gesicht seiner Mutter und versuchte sich vorzustellen, wie sie gewesen war.
Seine Großmutter stellte sich neben ihn. »Sie war voller Lebenslust, großherzig, gut gelaunt, oft ein wenig übermütig, humorvoll, gradlinig und stur. Regeln und die Meinungen anderer waren ihr gleichgültig. Sie ging stets ihren eigenen Weg. Du hast so viel von ihr.«
»Ich durfte nicht einmal ihren Namen aussprechen und hab immer geglaubt, du ... Egal!«
»Du hast gedacht, dass ich dir die Schuld am Tod meiner Tochter gebe, nicht wahr? Aeneas, du bist alles, was ich noch von ihr habe.« Sie seufzte tief auf. »Ich habe ihr nur nie verzeihen können, dass sie damals nicht zu mir gekommen ist, damit ich ihr hätte helfen können. Aber sie hatte ihre eigene Entscheidung getroffen. Sie wollte mit dir zusammen sterben. Ihre Angst vor euer beider Zukunft war längst zu übermächtig geworden. Jetzt erst kann ich sie wirklich verstehen. Loths Schatten lag und liegt wie eine düstere Bedrohung über deinem Leben. ... Träumst du immer noch so häufig von schwarzen Schlangen, die aus dem Feuer kommen?«
Er nickte, und sie seufzte erneut tief auf. »Loth ruft dich, und der Ruf wird lauter werden, sollte Karon sterben. Die Schlangenbrut braucht ihren Meister und wird keine Ruhe geben, bis sie ihn hat. Schon als du ein Kind warst, hat mich deine Kraft und Zähigkeit geängstigt. Sie war so deutlich zu spüren - die unglaubliche Stärke deines Vaters. Seit du erwachsen bist, habe ich auch ständig damit gerechnet, dass jemandem auffallen könnte, wie ähnlich du ihm siehst. Er war ein ausgesprochen gutaussehender und anziehender Mann. Die Frauenwelt lag ihm zu Füßen.«
Sie schüttelte sich, wie um Erinnerungen abzuschütteln. »Aber darum geht es jetzt nicht. Du darfst ihm nie begegnen. Sollte es doch dazu kommen, besinne dich auf deine Erziehung! Ich brachte dir bei, dich, deine Gefühle, deinen Geist und deine Magie unter allen Bedingungen unter Kontrolle zu haben. Wenn du ihm gegenübertreten musst, was alle Götter des Universums verhüten mögen, dann lass ihn nicht an dich herankommen. Deine Mutter war eine starke Frau, doch seinen hypnotischen Einflüssen war selbst sie nicht gewachsen. Mach nicht den Fehler und unterschätze Karon! Er kann sehr überzeugend wirken, hat Charme und viel Humor, aber er hat kein Herz. Tiefere Gefühle sind ihm fremd. Er benutzt andere und entledigt sich ihrer, sobald er sie nicht mehr benötigt. Deine Mutter war trotz ihrer Jugend schon eine große Magierin. Allein aus diesem Grund hat er sie für seine Zucht erwählt. Ihr Tod war ihm gleichgültig, nur der Verlust seines Erben hat ihn erzürnt. Du darfst ihn nie als Vater ansehen. Er war lediglich dein Erzeuger, der dich für
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