Die Suche nach den Sternen
nicht feststellen, ob die Bürsten aus dem Untergrund wuchsen oder ob sie durch irgendeinen physikalischen Prozeß herausgetrieben wurden. Er stellte die Vermutung an, daß beide Verfahren in Kombination im Spiel waren, aber sie hatten nicht die Zeit, seine Überlegungen nachzuprüfen.
Die beiden Frauen hatten weitere interessante Entdeckungen gemacht. Eine Fülle von fliegenden und kletternden Tieren lebte zwischen den gewaltigen Bürsten, und schwang sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Geschicklichkeit zwischen ihnen hin und her. Die Käfigwelt wimmelte vor Leben, und einige der kleineren Wesen, die Spitzmäusen ähnelten, zeigten ein eindeutig intelligentes Verhalten und starkes Interesse an der Shellback und ihrer Mannschaft.
Schließlich entschlossen sie sich widerwillig zum Weiterflug. Der Rand des Universums lockte, und eines Tages würden andere Expeditionen diese sonderbare Käfigwelt bis ins kleinste Detail erforschen. Vorher mußten sie sich aber aus dem Griff der riesigen Bürsten befreien, was sich als schwieriger herausstellte als erwartet. Die Triebwerke fegten eine große Menge harzigen Materials von den Bürsten und zurück blieb ein hartes, gläsernes Quarz, das auf der Stelle mit den Oxiden auf dem Rumpf der Shellback verschmolz und das Schiff an die Bürsten fesselte.
Ancor inspizierte das Ergebnis ihres erfolglosen Startversuchs und erkannte, daß sie ihre Taktik ändern mußten, wenn sie nicht einen Kilometer tiefer in einer dicken Glashülle enden wollten. Ancor verabscheute es, einen blühenden natürlichen Lebensraum zu vernichten, und er entschied sich nur mit größtem Widerwillen für eine drastische Maßnahme, um die Shellback zu befreien. Er warf zwei Sprengbomben ab, die im Umkreis von etwa einem halben Kilometer alle Borsten fällten. Plötzlich brachen die gläsernen Fesseln des Schiffs, und die Shellback schoß auf glühenden Zungen nach oben.
Die Borsten bedeckten die gesamte Oberfläche der Käfigwelt, die sie überflogen, auch wenn man erkennen konnte, daß sie in manchen Regionen aus dem Wasser wuchsen. Die Mannschaft der Shellback konnte nur darüber spekulieren, ob sie Teil eines Experiments Zeus’ zur Schaffung vertikalen Lebensraums oder das Ergebnis einer zufälligen, natürlichen Entwicklung waren. Aber sie mußten sich jetzt wieder mit anderen Problemen auseinandersetzen. Die heftigen Turbulenzen in der Öffnung des Kraterrands, der zur Außenseite der Jupiter-Schale führte, veranlaßte sie, besondere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Zum erstenmal begab sich die gesamte Mannschaft in die Rettungskokons und überließ die Steuerung dem Autopiloten.
Als sie die Turbulenzen hinter sich gelassen hatten, steuerte der Autopilot die Shellback auf eine Höhe von zweitausend Kilometern über der Jupiter-Schale und meldete der Mannschaft den erfolgreichen Durchbruch. Das Meldesignal wurde allerdings nach wenigen Sekunden vom Alarm des automatischen Raketenabwehrsystems übertönt, das eine auf sie zurasende Rakete vernichtete. Die Schockwelle der nahen Explosion des schüttelte die Shellback durch. Inmitten dieser Kakophonie schnellte Ancor aus dem Rettungskokon, hastete ins Cockpit und taxierte hastig die Lage.
Auf den Schirmen zeichneten sich keine weiteren Raketen ab, und auf der Oberfläche wurden keine verdächtigen Aktivitäten festgestellt. Die kurze Zeitspanne des Angriffs – die Rakete war nur wenige Sekunden nach ihrem Auftauchen detoniert – deutete auf ein automatisches Verteidigungssystem hin, das auf jede Verletzung des Luftraums reagierte. Große Gebiete der Schale mußten sich in einem Quasi-Kriegszustand befinden, was die logische Folge des Bevölkerungsdrucks war, der den Wettbewerb um die begrenzten Ressourcen verschärfte. Die großen Staaten der Jupiter-Schale erstickten an ihrer eigenen Bevölkerung und waren bereit, übereinander herzufallen.
Krieg war aber weder eine neue noch eine befriedigende Lösung für das Problem der Überbevölkerung. Doch seine Logik war verführerisch: Wenn es gelang, die anderen auszulöschen, verfügte man über mehr Land und Nahrungsmittel und erhöhte die eigenen Überlebenschancen. Ähnliche Prozesse waren überall in der Natur am Werk, von den Mikroben über die Pflanzen und Tiere bis zu den Menschen. Das Bedrückendste an der Lage war aber für Ancor, daß Zeus offensichtlich überfordert war, schnell genug neuen Lebensraum zu schaffen, und es deshalb außer Krieg keine andere praktische Lösung gab.
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