Die Suche nach den Sternen
nicht wie Sine über elektrisch geladene Nervensysteme, mußten aber – möglicherweise durch andere Spezies der Käfigwelt – mit ihnen vertraut sein, wie sich gleich darauf zeigte. Die beiden Männer schwammen langsam an die Stelle zurück, an der sich Sine über den dritten Mann beugte, und gaben ihr keine Gelegenheit, einen von ihnen zu berühren, ohne sich einer Speerspitze auszusetzen. In der Zwischenzeit blickte der auf dem Meeresboden liegende Mann die Engelianerin mit einem Ausdruck an, in dem die Faszination die Angst verdrängte.
Währenddessen mühte sich Ancor auf der Shellback mit der Berechnung des voraussichtlichen Tidenhubs ab. Zwei Proto-Sonnen waren bereits über den Abschnitt der Käfigwelt hinweggezogen, ohne daß eine nennenswerte Ebbe über dem Felsblock eingesetzt hätte. Darüber hinaus hatten sie nichts mehr von Sine gehört, seit sie die Kamera wieder nach oben geschickt hatte. Anfangs hatte sich Maq deswegen keine Sorgen gemacht; das feuchte Element war schließlich das zweite Zuhause der Engelianerin. Er hatte oft zugesehen, wie sie in ihrer Show auf der Mars-Schale gegen die abscheulichsten Unterwasserbestien gekämpft hatte, und manchmal schien es ihm, als ob sie einen sechsten Sinn für Gefahren unter Wasser besäße. Als aber bereits die dritte Proto-Sonne über ihnen ihre Bahn zog, wurde er immer unruhiger. Wenn Sine absichtlich länger auf Erkundung blieb, sagte er sich, hätte sie mit Sicherheit über die Funkboje mit ihnen Kontakt aufgenommen.
Sie ließen die Unterwasserkamera von neuem herab, und zogen sie im Schrittempo durch die an den großen Felsblock angrenzenden Meeresflächen. Sie sahen die üppige Meeresflora, ohne sie wie Sine als kultivierte Fläche zu erkennen. Nur auf die Engelianerin fanden sie nicht den geringsten Hinweis.
Unter dem Einfluß der dritten Proto-Sonne begann jetzt langsam die Wasserhöhe über dem Felsblock abzunehmen. Dann stieß Carli, die den mit der Unterwasserkamera verbundenen Monitor überwachte, plötzlich einen aufgeregten Schrei aus.
»Maq, das mußt du dir ansehen! Dutzende von Schwimmern kommen auf uns zu. Und ich glaube, Sine ist bei ihnen.«
Carli hatte recht. Etwa zwei Dutzend Wesen mit derselben grünen Hautfarbe wie Sine, aber dennoch auf sonderbare Weise anders als die Engelianerin, näherten sich der Kamera. Die Zusammensetzung der Gruppe aus Wesen jeder Altersgruppe erinnerte Ancor an einen Stamm. Sine Anura schwamm ganz vorne mit. Ihre Bewegungen waren entspannt und verspielt und zeigten, wie wohl sie sich unter ihren Begleitern fühlte. Die Gruppe hielt Kurs auf den Felswürfel, den immer noch eine über drei Meter hohe Wasserschicht bedeckte. Plötzlich bemerkte Sine die Kamera, schwamm darauf zu, hielt das Gesicht direkt vor die Linse und zog Grimassen. Dann schwamm sie weiter, um wieder ihren Platz an der Spitze des Unterwasserzugs einzunehmen. Ancor zog die Kamera wieder ein, und die Shellback schwebte weiter bewegungslos über dem Felsblock. Bald darauf kletterten die grünhäutigen Gestalten auf die Oberseite des Felsen, und als die Ebbe schließlich ihren Tiefststand erreichte, stand die gesamte Gruppe auf und winkte den Zuschauern am Himmel freudig zu.
Als Sine wieder an Bord zurückkehrte, strahlte sie über das ganze Gesicht. Die Meere dieser Käfigwelt wurden von nomadischen Stämmen intelligenter Wasserbewohner bevölkert. Auf ihren endlosen Zügen hüteten sie ihre Fischschwärme und ließen sich hin und wieder für einige Monate an einem Ort nieder. Als Ausdruck ihrer Dankbarkeit gegenüber der Natur ließen sie jedesmal einen Unterwassergarten zurück. Sie waren auch eine Rasse von Philosophen, die sich für den Himmel und die geheimnisvoll wandernden Proto-Sonnen interessierten und lange Stunden damit verbrachten, darüber zu spekulieren, was hinter den für sie sichtbaren Grenzen des Universums lag. Der Felsblock war nur einer unter vielen, die sie im Lauf der Jahrtausende errichtet hatten, und diente teils als Schrein, teils als Observatorium und auch als ein Ort, an dem man sich einfach hinsetzen und über den Himmel staunen konnte.
Ancor zeichnete ihre Erkenntnisse auf, als das kleine Schiff die Käfigwelt verließ, um seine Reise zur Außenseite der Neptun-Schale fortzusetzen. Zusätzlich fügte er die Bilder der Unterwasserkamera an den Bericht. Eines Tages würde die Erforschung dieser nachdenklichen und reichhaltigen Kultur für Ethnologen zum Lebenswerk werden, aber im Augenblick blieb ihnen nur,
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