Die Suche nach der Sonne
zu zwingen, eine neue Nachricht anzuzeigen.
Zeus’ letzte Botschaft blieb lange unverändert, dann flimmerte sie plötzlich und verschwand. Die Rakete war immer noch unterwegs. Dann, nur wenige Sekunden vor dem Aufschlag, leuchtete der Computerschirm grell auf.
DROHUNG ALS STICHHALTIG ANERKANNT. ABBRUCH. ERSTE DIREKTIVE SOLL ÜBERPRÜFT WERDEN.
Tez setzte die Explosion der Rakete erst wenige Meter vor dem Aufschlag aus, und Cherry hielt sein Holo bis zum Kontakt mit dem Kraterrand aufrecht. Er war noch nicht davon überzeugt, daß sie gewonnen hatten. Seine lebenslange Erfahrung mit menschlicher Heimtücke ließ ihn selbst jetzt noch erwarten, daß auf den Schirmen Anschuldigungen wie ›Lügner!‹, ›Schwindler!‹ und ›Betrüger!‹ aufflackerten. Er hatte nicht auf die Feinheiten der Syntax geachtet. Zeus hatte ›soll‹ benutzt, was bedeutete, daß die Überprüfung der Direktive ein Imperativ war, und damit eine weitere logische Abwägung ausgeschlossen war. Cherry war immer noch auf das Schlimmste gefaßt, als die Buchstaben auf dem Bildschirm erneut wechselten und eine einzige Frage erschien:
WANN?
Tez bemerkte die Veränderung um sie herum zuerst. Zuerst langsam, dann immer schneller drehten die gewaltigen Sammler, die sie umzingelt hatten, ab. Sie formierten sich neu und kehrten entweder zurück in die Höhlung der Käfigwelt oder bekamen neue Aufgaben in den Weiten des Hermes-Raums zugewiesen. Schließlich wurde ihr spezieller Wachhund ebenfalls zurückgezogen, und sie konnten wieder frei manövrieren.
Sie standen in der Beobachtungskuppel und sahen dem Rückzug der riesigen Flotte zu. Noch verstanden sie nicht die Bedeutung der Schlacht, die sie gewonnen hatten, oder die schwindelerregende Last der Verantwortung, die gerade der Menschheit zurückgegeben worden war. Die Neuprogrammierung der Ersten Direktive würde nichts zur Lösung der drohenden Überbevölkerungskrise beitragen, die in dem Augenblick eintreten würde, an dem das Solare Universum nicht mehr weiter ausgedehnt werden konnte. Ancor hatte lediglich erreicht, daß Zeus an diesem Punkt weiterhin seinen Routineaufgaben nachgehen würde. Nichts und niemand konnte aber die entscheidende Frage beantworten: Wohin werden dann die Auswanderer gehen?
Vielleicht gab es darauf keine Antwort, vielleicht konnte es keine Antwort geben, und die Entscheidungen, die es zu treffen galt, würden entsetzlich sein. Man konnte die Schalen und Welten an der Überbevölkerung ersticken lassen, bis die erhöhte Sterberate für Stabilität sorgen würde. Oder man konnte die ahnungslosen Auswanderer über die Grenzen Solarias hinausschicken, in die Wüsten, die dort liegen mochten, und damit Millionen opfern, um die Existenz von Trillionen zu sichern. Oder gab es andere Welten, die man besiedeln konnte, wenn es irgendwie gelang, die Gesetze der Relativität zu brechen oder zu umgehen? Oder konnte man vielleicht ein neues Solaria mit einer eigenen Sonne erschaffen? Tez und Cherry verschwendeten keinen Gedanken auf irgendeine dieser Fragen, sie waren unendlich erleichtert über ihre eigene Rettung. Diese Probleme spukten in Maq Ancors Kopf, der sich im Schlaf in den Armen Sine Anuras wand, als würde er gefoltert.
Cherry unternahm einen weiteren Versuch mit dem Funkgerät, erhielt aber keine Antwort. Sie wußten jedoch mit Sicherheit, daß sich Maq und Sine irgendwo in oder auf der Merkur-Schale befanden, und die Funkverbindung würde sich zweifellos mit abnehmender Distanz verbessern. Cherry berechnete die Koordinaten für ihren Flug durch den Hermes-Raum, und die tapfere kleine Shellback nahm erneut Kurs auf das Zentrum Solarias.
Kapitel 30
»Was machen wir jetzt?« fragte Sine Anura.
Ancor zuckte die Achseln. Er hatte den Versuch aufgegeben, die Steuerung des automatischen Schiffes zu übernehmen. Selbst wenn er in der Lage gewesen wäre, sich Zugang zu den entsprechenden Schaltkreisen zu verschaffen, hätte er sie immer noch nicht zu einem funktionierenden System verbinden können, das ihm erlaubt hätte, das Schiff zu steuern. Da sie von den Lebenserhaltungssystemen des Schiffes völlig abhängig waren, unterließ er selbst die behutsamsten Experimente.
Nachdem man sie an diesen Ort verfrachtet hatte, um die Sonne zu sehen, hatten sie erwartet, daß das Schiff bald danach wieder abheben und sie zu einem anderen Ort befördern würde. Als Ancor darüber spekuliert hatte, wo das sein konnte, war ihm sein Fehler klar geworden. Er hatte auf den
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