Die Sünde aber gebiert den Tod
»Haltet ein. Die Frau trug das blaue Kleid, das wir gestern an der Magd von Melaten gesehen haben. Wir haben geglaubt, sie habe es als Almosen verschenkt. Hatte denn diese Frau so viele Kleider bei sich, um sich solch eine Großzügigkeit erlauben zu können?«
Franziska schloss den Mund und machte ihn dann langsam wieder auf. »Äh, nein. Sie hatte nur ein kleines Bündel bei sich. Ach Gott, glaubt Ihr, es wurde ihr gestohlen? Das wird aber für das Dämchen unangenehm sein, nur im Hemd herumzusitzen. Aber dem Simon wird das wahrscheinlich gefallen.«
»Ich hoffe, sie sitzt überhaupt noch herum. Wo auch immer.«
»Wie meint Ihr das? «
»Wir haben da ein ausgesetztes Kind, eine unbekannte,tote Frau und ein Kleid, das nicht diejenige trägt, für die es geschneidert wurde. Ich gebe zu, es ist vage, aber ich würde zu gerne wissen, ob die vornehme Dame noch im Adler zu Gast ist.«
»Ihr glaubt – heilige Sankt Marta, glaubt Ihr, Simon habe ihr etwas angetan? Das ist verrückt, Almut. Er ist zwar ein Klotz, aber kein Mörder.«
»Weiß man’s? Aber darüber reden wir später.« Sie hatten das Haus in der Mühlengasse erreicht, und Almut bat Franziska zum Abschied: »Holt mich zur Sext wieder ab. Ich helfe Euch dann, die Körbe zu tragen.«
»Ja, gerne!«
Anne, die alte Magd, öffnete Almut die Tür und grüßte sie mit den brummigen Worten: »Schön, dass Ihr uns besuchen kommt, Frau Almut. Eure Mutter hat aber einen Gast da.«
»Einen, den du nicht billigst, Anne?« Das Gesicht der Magd drückte Missfallen aus. »Ah, soll ich raten? Aziza ist gekommen, nicht wahr?«
»Eine gottlose Maurin ohne Zucht und Anstand«, murmelte Anne.
Almut lachte. »Sie ist keine Maurin, Alte, das habe ich dir schon ein paarmal erklärt.«
»Sie ist Schlimmeres!«
»Ja, sie ist meine Schwester!«
»Sie bringt Euren Vater in Verruf, junge Herrin!«
»Ach was! Wenn, dann schafft der das ganz alleine, dazu braucht es Aziza nicht. Hier, halt mal, damit ich meinen Umhang ablegen kann. Ihr habt es schön warm im Haus!«
Ohne Umschweife drückte Almut der Magd den Korb mit dem schlafenden Kind in die Hand. Anne sah aus, als ob sie vom Donner gerührt würde.
»Frau Almut!«
»Niedlich, nicht? Ich will die Frau Barbara bitten, sich darum zu kümmern!«
Mit erhobener, höchst empörter Stimme wiederholte Anne noch einmal: »Frau Almut!«
»Du denkst immer das Schlechteste von mir, was?«
»Ist das ein Wunder? Ihr wart schon ein schlimmes Kind, Frau Almut. Und Eurem Mann eine gar widersetzliche Frau!«
»Und dem Gesinde ein schlechtes Vorbild, meiner Meisterin eine starrköpfige Begine, den Priestern eine tadelnswerte Gläubige, meinem Beichtiger eine unbelehrbare Sünderin und für dich ein Nagel zu deinem Sarg. Sind sie oben in der Stube?«
»Ja.«
Almut eilte beschwingt die Stiegen empor. Sie freute sich, ihre Halbschwester zu sehen. Seit über einem Monat waren sie sich nicht mehr begegnet. Aziza führte ein sehr eigenes Leben am Rande der Gesellschaft. Sie stand im Ruf, eine maurische Hure zu sein, doch wie Almut es schon richtig bemerkt hatte – eine Maurin war sie nicht. Sie hatte ein kleines Vermögen von ihrer Mutter erhalten und vermehrte es sorgsam, indem sie es zinsbringend verlieh. Sie liebte ihre Unabhängigkeit, und Almut wusste zudem von einem einflussreichen Gönner, der wahrscheinlich auch ihr Liebhaber war. Aber wer es war, darüber schwieg sich Aziza abgrundtief aus.
Mit freudigen Ausrufen wurde die Begine von den beiden Frauen begrüßt, aber als sie den Korb mit dem Kind vorsichtig in die Nähe des Kamins stellte, konnte sich Aziza nicht zurückhalten: »Wie ist dir denn das passiert, meine keusche Schwester!«
»Hab’s aus dem Kunibertspütz gefischt!«
»Ein gefährliches Gewässer, was? Hat es denn wenigstens Spaß gemacht?«, fragte Aziza kichernd.
»Ich habe wenig davon gemerkt.«
»Man kann die Keuschheit auch übertreiben. Wer ist der Vater?«
»Ich empfing es von Pater Ivo.«
»Dann hätte es dir aber Spaß machen müssen!« »Na, ich weiß nicht. Es war mitten in der Nacht...« »Da passiert so etwas häufig!«
»...draußen im Schneegestöber...«
»Seltsame Vorlieben hast du! «
»...am Heiligen Abend.«
»Was kann man von Münnich und Bejinge schon anderes erwarten.«
Frau Barbara gluckste still vor sich hin und brach dann in helles Gelächter aus.
»Hat jemand das Kleine im Kloster ausgesetzt?«
»So ist es. Und der Pater war so klug, es umgehend zu uns zu bringen. Aber
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