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Die Sünde aber gebiert den Tod

Die Sünde aber gebiert den Tod

Titel: Die Sünde aber gebiert den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ihm in dem dunklen Kerker völlig verloren gegangen, auch wenn durch einen schmalen Spalt hoch oben in der Mauer manchmal ein Streifen grauen Lichts hereinfiel.
    Seltsame Visionen, Bilder aus zeitlosen Räumen kamen zu ihm, und oft wusste er nicht, ob er träumte oder wirklich erlebte, was geschah. Die Grenzen zwischen der Realität und jener anderen traumartigen Welt waren aufgehoben. Er sah sich und fühlte sich gebunden an einen windigen Baum, vom Speer verwundet, sich selbst geweiht. Oder war es ein Kreuz, an dem er hing, den Rücken blutig gepeitscht, brennend vom Schmerz? Wessen Leiden er durchlebte, wusste er nicht mehr, seine eigenen waren zu denen anderer, älterer Gestalten geworden. Und ähnlich wie jene, die sich selbst geopfert hatten, entdeckte auch er Wahrheiten, die man nur in diesem Zustand außerhalb seiner selbst erfahren konnte. Er, der Ketzer, der keinen Herrn anerkannte, auch nicht einen Herrn, den er ob seines Schicksals verfluchen konnte, der auf keinen himmlischen Erlöser hoffte, der ihn heim zu seinem Vater führte, der Mönchwider Berufung, fand in seiner Seele das Bild eines göttlichen Wesens, das sich ihm offenbarte – und auch wenn es wahrlich keine Mutter der Barmherzigkeit war, die sich ihm zeigte, wagte er es doch, entgegen aller Vernunft, sie um Hilfe anzurufen. Ein Laut entrang sich ihm, ein Schrei ohne Worte, von dem er selber nicht wusste, dass er ihn ausgestoßen hatte.
    Sein Ruf verhallte zwar in den Gewölben tief unter dem Turm von Groß Sankt Martin – doch er blieb nicht ungehört.
    Zweimal war der Prior noch vorbeigekommen, um seine Bestrafung fortzusetzen, und jedes Mal waren es mehr Hiebe gewesen, die seinen geschundenen Rücken in Flammen setzten. Warum auch immer – die Hoffnung starb nicht.

27. Kapitel
    A lmut bewegte sich unruhig im Schlaf. Die Kälte kam durch die Holzläden des Fensters gekrochen, und die Glut in der Kohlenpfanne war beinahe erloschen. Eine der schweren Decken rutschte vom Bett, und ihr nur von einem Hemd bekleideter Körper kühlte langsam aus. Auch in ihren Traum schlich sich der bittere Frost. Frierend und zitternd durchwanderte sie dunkle Gewölbe, suchend und getrieben von dem Wissen, es warte etwas Entsetzliches auf sie. Doch bevor sie es gefunden hatte, erwachte sie, fand sich beinahe gelähmt vor Kälte und tastete nach ihrer Decke. Mit klappernden Zähnen hüllte sie sich darin ein und blieb sitzen, vor Angst, wieder einzuschlafen und noch einmal die Beklemmung des Traums zu erleben. Das Mondlicht fiel bleich durch die Ritzen des Fensterladens.
    »Heilige Maria, barmherzige Mutter, was hat dieser Traum zu bedeuten?«, flüsterte sie der Figur zu, die sie schemenhaft im Dunkel erkennen konnte. »Willst du mich warnen, ewige Jungfrau, damit ich mich nicht auf dunkle Abwege begebe?«
    Stille umfing Almut, die vollkommene Lautlosigkeit der Nacht.
    »Habe ich gesündigt, Herrin, dass du mir die Vision von Dunkelheit und Kälte zur Strafe schickst?«
    Selbst der Mond schien jetzt verfinstert zu sein, das Zimmer war von Schwärze erfüllt.
    »Weise Mutter, Hüterin der armen Seelen, ist es eine Gefahr, in der ein anderer schwebt?«
    Ein Lufthauch strich durch den Raum, und die Kohlen in der Wärmepfanne glühten kirschrot auf. Und plötzlich atmete Almut leichter.
    »Regina angelorum, ora pro nobis, du Königin der Engel, bitte für uns. Und für die, die in Kälte und Dunkelheit leiden. Du Himmelskönigin, schenke uns dein Licht und erleuchte uns die Pfade der Finsternis. Hilf uns, den Schmerz zu ertragen, und erfülle uns mit der Kraft, gegen das Verderben aufzustehen. Führe mich den rechten Weg, du Furcht einflößende Beschützerin, du Schild der Streitenden, mache mich bereit und lasse mich nicht zögern, wenn die Not mein Handeln erfordert. Heilige Mutter Gottes, erbarme dich der Sünder.«
    Unter der dicken Decke war es Almut wieder warm geworden, und mit einem Aufseufzen legte sie sich nieder. Ihr Vertrauen in Maria war groß und nicht unberechtigt. Keine bedrohlichen Träume störten mehr ihren Schlaf.
     
    »Der Jungpfau schlägt sein Rad vor unserer Pforte!«, berichtete Franziska, als sie zur Mittagszeit in Begleitung einer Magd von ihren Einkäufen zurückkam.
    Almut zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wartet er auf Pitter. Der drückt sich oft hier am Eigelstein herum. Habt Ihr alles bekommen, was Ihr benötigt?«
    »Es geht wieder ganz gut auf dem Markt. Die Leute sprechen von bevorstehenden Friedensverhandlungen zwischen

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