Die Sünde aber gebiert den Tod
jetzt wieder nötig zu sein.«
»Aber werden sie uns einlassen?«
»Fredegar hat den Durchgang durch Brigiden entdeckt und wird uns dort erwarten.«
»Oh, der Edelknabe wird sich einen Fingernagel abbrechen!«
»Unsinn, Pitter. Der Junge ist völlig in Ordnung! Los, hier ist die Kirche, setzen wir eine fromme Miene auf.« »Klar!«
Es war zum Glück niemand in der Gemeindekirche, und so huschten sie unbemerkt durch das Seitenschiff zur Sakristei. Dort sah sich Almut im Halbdunkel zunächst verwirrt um, denn von einer Tür war nichts zu sehen. Doch Pitter war findig. Er schob einen Gobelin zur Seite, der an der Wand hing, und wies auf die schmale Holztür.
»Gut, Pitter. Aber Vorsicht, wer weiß, was auf der anderen Seite auf uns wartet.«
»Na, der Edelknabe doch!«
»Oder fünfzig Psalmen singende Mönche!«
»Die würdet Ihr jetzt schon hören.«
Pitter drückte gegen die Tür, und mit einem leisen Knarren sprang sie auf. Der Durchgang war so schmal und niedrig, dass sie nur hintereinander hindurchschlüpfen konnten. Dann standen sie im südlichen Seitenschiff der Klosterkirche.
»Pst, Frau Almut! Hier!« Fredegar löste sich von einem der eckigen Pfeiler und starrte Pitter böse an. »Was will der denn hier?«
»Mich begleiten!«
»Brauchen wir nicht.«
»Doch!« Plötzlich erstarrte Almut. »Ein Mönch!«
Eine Gestalt in wehendem Habit näherte sich.
»Nein, nein. Nur Lodewig. Ich habe ihm befohlen, uns den Weg zum Kerker zu zeigen. Er bibbert zwar vor Angst, wird uns aber helfen. Das spart Zeit. Denn zur Non versammeln sich die Mönche wieder zum Gebet.«
Die Hände tief in den Kuttenärmeln vergraben undmit gesenktem Blick stand der pummelige Novize nun vor ihnen.
»Ich grüße dich, Lodewig«, sagte Almut so sanft sie im Augenblick konnte. Es muss wohl noch einigermaßen freundlich geklungen haben, denn der Junge hob vorsichtig die Augen. »Wenn du richtig vermutest, werden wir Pater Ivo hier irgendwo finden?«
»Vielleicht«, murmelte der Novize scheu.
»Nun, dann weise uns den Weg.«
»Nehmt eine Fackel mit! Es ist sehr dunkel dort unten.«
»Ich habe eine und werde etwas sehr Unheiliges damit tun!«, stellte Fredegar fest und näherte sich mit dem pechgetränkten Kienspan dem Altar, wo das ewige Licht brannte.
Im Fackelschein folgten sie Lodewig, der an der Wand entlang zum Nordchor schlich und dort auf eine hinter den Pfeilern verborgene Stiege wies.
»Ich gehe voran!«, flüsterte Fredegar und hielt die Fackel hoch. Almut folgte ihm auf dem Fuß, dann schubste Pitter den Novizen an und bildete den Schluss. Es war eine schmale Treppe, die steil hinabführte. Das Mauerwerk aus Felsgestein war kalt und wirkte feucht, die Luft schien abgestanden und schal. Ein enger Gang schloss sich an, und schließlich standen sie vor einer schweren, eisenbeschlagenen Holztür. Ein breiter Riegel lag in seiner Halterung und stellte sicher, dass sie von innen nicht geöffnet werden konnte. Fredegar hatte Mühe, mit einer Hand den klemmenden Hebel zu bewegen, und Almut nahm ihm die Fackel ab. Kreischend hob sich das Metall, und der Knappe zog die Tür auf. Dahinter befand sich ein großer, dunkler Raum, fast eine Halle. Nur ein schmaler Steifen grauen Lichts sickerte durch einenhohen Fensterschlitz. Zunächst schien der Kerker leer zu sein, doch plötzlich schrie Lodewig auf: »Da, da!«
Er wedelte mit dem Arm, und Almut hielt die Fackel in die gewiesene Richtung. Was sie dort sah, erschütterte sie. Nur mit Mühe konnte sie einen Entsetzensschrei unterdrücken. Dort, vor einem mannshohen Kreuz, kniete ein Mann, die Hände erhoben an den Balken gefesselt. Er war zusammengesunken, die Kutte bis zu den Hüften herabgezogen, und sein Rücken war blutverkrustet. Neben ihm lag eine dreischwänzige Geißel.
»Himmlische Herrin!«, flehte Almut, und sie meinte nicht die Mutter der Barmherzigkeit.
»Jroßer Jott!«, stieß Pitter aus, und auch er meinte nicht den Allerbarmer.
»Jesus!«, flüsterte Lodewig und meinte nicht den barmherzigen Erlöser.
»Hölle und Teufel!«, fluchte Fredegar und meinte das auch so.
Almut fing sich.
»Hat einer von euch ein Messer dabei?«
»Ja, ich.« Pitter zog einen schartigen kleinen Dolch aus den Tiefen seiner Gewänder.
»Schneid die Fesseln durch. Lodewig, du bringst den Bruder Infirmarius her. So schnell du kannst, Lodewig!« »Ja. Ja, natürlich!«
»Fredegar, hol deinen Herrn. Egal, was er jetzt gerade macht.«
»Ja, Frau Almut. Los, Lodewig!«
Die Schritte
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