Die Sünde aber gebiert den Tod
leeren und eine einigermaßen bequeme Lage zu finden. Er schloss die Augen wieder und griff nach ihrer Hand. Erleichtert atmete er ein und schien gleich darauf in einen tiefen Schlaf zu sinken, einer Bewusstlosigkeit näher als dem Schlummer.
29. Kapitel
F redegar kannte sich inzwischen schon einigermaßen in den Gassen Kölns aus und wanderte daher durchaus zielstrebig in Richtung Eigelstein. Die Wege waren matschig und von Karrenrädern und Hufen aufgewühlt, manche Stellen mit hartem, krustigem Eis überzogen. Schnell kam er nicht voran, zumal er immer wieder Ausschau nach Pitter halten musste. Es waren an diesem Dreikönigstag ungewöhnlich viele Menschen unterwegs, die im Dom zu den Gebeinen von Balthasar, Caspar und Melchior gebetet hatten. Erstaunlich viele der Handwerksburschen und Gassenjungen sahen dem Päckelchesträger ähnlich; graubraune Umhänge, zipfelige Gugeln und mit Lumpen umwickelte Hände schienen die Einheitskleidung der Kölner Jugend zu sein. Leicht angewidert rümpfte Fredegar die Nase. Es hatte ihn auch schon der eine oder andere schmuddelige Schneeball getroffen. Bald würde sein Umhang ähnlich schäbig aussehen wie die Kleider der dreisten Burschen. In der Höhe des Doms schließlich geriet er in eine ihm unbekannte Gasse, und um sich neu zu orientieren, blieb er stehen und sah sich um.
»Hat es eilig, der feine Pinkel!«, höhnte jemand, und eine wässrige Ladung Schnee klatschte ihm in den Nacken und warf ihn zu Boden. Er rappelte sich auf und wollte in die nächste Gasse flüchten, als schon wieder ein kaltes Geschoss hinter ihm herflog. Diesmal stolperteer nicht nur, er stürzte im hohen Bogen eine kurze Treppe hinunter und landete vor einer Tür. Die Häuser hatten, wie so oft in jenen Gassen, Halbkeller, die zur Straße hin ihren Einlass hatten. Manche von ihnen waren mit einfachen Holzläden zu Buden ausgebaut, in denen Handwerker und Händler ihre Waren feilboten. Dieser Keller jedoch diente, wie Fredegar feststellen konnte, einer Gruppe Bettler als behelfsmäßige Unterkunft. Die Tür war durch seinen Aufprall aufgesprungen, und er selbst war in den dumpfigen Raum gekollert. Damit war er zwar dem Blick seiner Peiniger entzogen, aber sonderlich liebevoll wurde er nicht empfangen. Ein Weib, das ein wimmerndes Kind an ihrer schlaffen Brust nährte, lachte hämisch auf, als er sich aufrichtete, und zwei völlig verdreckte Jungen krabbelten um seine Füße. Ein alter Mann, dessen Gliedmaßen mit grindigen Schwären bedeckt aus den Lumpen hervorlugten, kam unerwartet behände auf ihn zu und tastete ihn nach Wertsachen ab, und eine alte, zahnlose Vettel beschimpfte ihn in einer Sprache, von der er kaum ein Wort verstand.
»Lasst mich in Frieden!«, wehrte Fredegar den Alten ab und schlug ihm den Beutel mit Münzen aus der Hand, den er von seinem Gürtel gerissen hatte. Er sah sich gehetzt um. »Lasst mich hier raus!«
Er bekam die unhöfliche Aufforderung, den selben Weg zu wählen, den er hineingekommen war, und die drängende Nähe übel riechender Menschen, die weiterhin unverschämt an ihm herumtasteten, machten ihm den Entschluss leicht, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.
Von den Gassenjungen war nichts mehr zu sehen, doch die Dämmerung war zur Nacht geworden, und verlorenwanderte Fredegar in der Dunkelheit zwischen den Häusern entlang, aus denen nur selten ein Lichtschimmer drang. Die Straßen hatten sich in finstere, menschenleere Tunnel verwandelt, scheinbar ohne Ausgang. Das Vesperläuten war schon lange verklungen, und langsam stieg Verzweiflung in ihm auf. Er hatte sich völlig verirrt, und seine einzige Möglichkeit bestand jetzt darin, einen der Passanten zu fragen, wie er entweder zum Eigelstein oder zurück zum Kloster finden würde. Als ihm drei Männer in Begleitung einer drallen, aufgeputzten Frau entgegenkamen, hielt er sie höflich an und fragte nach dem Weg.
»Zum Eigelstein wollt Ihr? Ein schlechtes Ziel um diese Zeit, junger Herr. Nur kahle Weingärten und keusche Beginen, Söldner vor dem Tor und ein paar windschiefe Häuschen, in denen arme Schlucker wohnen. Was sucht ein Herr wie Ihr dort?«
»Einen Freund. Den Päckelchesträger Pitter!«
»Den Päckelchesträger?« Die Dirne kicherte. »Seltsame Freunde habt Ihr, Herrchen!«
Fredegar bemerkte ihren abschätzenden Blick nicht, so froh war er darüber, dass jemand diesen unmöglichen Jungen kannte.
»Könnt Ihr mir verraten, wo ich ihn finde?«
»Aber sicher doch. Folgt uns, junger
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