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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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einen Eindruck davon vermittelte, wie sehr er innerlich zitterte.
    Grey nippte nur an seinem Brandy. Er war nicht gut, aber er brannte angenehm in der Kehle und betäubte die ärgerlichen
Schmerzen in seinem Auge ein wenig. Dennoch, irgendetwas musste er mit dem Gerstenwasser anfangen, sonst würde Tom beleidigt sein. Er tastete nach dem Taschentuch in seinem Ärmel, betrachtete es kritisch und beschloss, dass es brauchbar war.
    »Es war dein Ernst, oder?«
    »Was denn?«
    »Als du gesagt hast, dass du ein Raubtier bist.« Percy betrachtete ihn mit einem Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen Ehrfurcht und leisem Ekel lag. Grey gefiel beides nicht.
    »Alle Soldaten sind Raubtiere«, sagte er knapp. »Eigentlich alle Männer. Daran musst du dich gewöhnen.«
    Percy stieß ein leises Prusten aus, wahrscheinlich vor Belustigung.
    »Das brauchst du mir nicht zu sagen, mein Teuerster«, sagte er trocken. Er stand auf, nahm Grey das Tuch aus der Hand und tauchte es in die Schüssel. »Leg den Kopf zurück.«
    Seine Hand lag warm in Greys Nacken, seine Berührung war sanft.
    »Kannst du dein Auge öffnen?«
    Grey versuchte es und brachte einen Schlitz zuwege. Percys dunkles, konzentriertes Gesicht verschwamm in einem Tränenschleier.
    »Gar nicht so schlecht«, murmelte er. »Jetzt entspann dich.« Percys Finger spreizten die Lider des verletzten Auges und drückten die Flüssigkeit aus dem Tuch hinein. Grey erstarrte im ersten Moment, stellte aber fest, dass es nicht sehr schmerzte, und entspannte sich tatsächlich ein wenig.
    »Alles, was ich gemeint habe, war, dass du sehr viel aufrichtiger damit umgehst als die meisten anderen.«
    »Ich bezweifle, dass das eine Tugend ist.« Erst jetzt kam ihm ein Gedanke. »Fragst du dich vielleicht, ob du selbst Raubtier genug bist? Ob du deine Pflicht ordentlich getan hast? Das hast du. Ich hätte es dir sagen sollen.«
    »Das hast du doch.«
    »Ja?«

    »Ja. Weißt du es nicht mehr?«
    »Nein«, sagte Grey wahrheitsgemäß. »Ich war furchtbar beschäftigt.«
    Percy kicherte leise glucksend und tauchte das Tuch wieder in die Schüssel.
    »Ich bin immerhin so ehrlich, mir meinen Mangel an Erfahrung einzugestehen. Du hattest Recht, dass man nicht vorher weiß, was man im Kampf tun wird. Hättest du mir nicht zugerufen, diesen Kerl zu erschießen, hätte ich nur dagestanden und ihn angegafft, bis du aufgestanden wärst und es selbst getan hättest.«
    Grey öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Percy bückte sich und küsste ihn schnell auf die Lippen. Sein Atem strich warm über Greys vom Wasser gekühlte Wange.
    »Ich brauche keine Bestätigung, mein Teuerster, das ist nicht nötig.« Er richtete sich wieder auf, und das Tuch senkte sich erneut über Greys Auge und entließ seine lindernde Flut. »Ich habe mich nicht hoffnungslos blamiert, und vielleicht werde ich es später einmal noch besser machen. Ich wollte nur sagen, dass ich jetzt verstehe, was du mir gesagt hast. Und -« Das Tuch verschwand, und Grey blinzelte. »Und dass am Ende nur das eine zählt, dass wir beide noch am Leben sind. Das«, fügte er in beiläufigem Ton hinzu und wandte sich ab, um das Tuch erneut in die Schüssel zu tauchen, »und dass ich stolz auf dich bin.«
    Aufgeschreckt und erregt durch den Kuss, zutiefst verlegen über das Kompliment - und nicht unbeträchtlich schockiert über die Tatsache, dass Percy diese essentielle Wahrheit nicht instinktiv klar gewesen war - begann Grey, das Naheliegende zu konstatieren, dass es nämlich seine Pflicht war. Doch in diesem Moment kam Tom Byrd mit dem Abendessen herein, und am Ende begnügte er sich mit einem schwachen »Danke«.

25
    Betrogen
    Anfang Mai kehrte der Duc de Richelieu nach Frankreich zurück, und der Comte de Clermont nahm seine Stelle ein. Das Tauziehen im Rheintal ging weiter. Der Herzog von Braunschweig, der diese Taktik genau durchschaute, reagierte in aller Seelenruhe darauf, indem er hier einen Vorstoß verhinderte, dort selbst ein wenig vorrückte - und Clermonts Armee Stück für Stück zur französischen Grenze zurücktrieb.
    Ende Mai stand fest, dass den Franzosen keine Ausweichmöglichkeit mehr blieb; sie mussten sich im Lauf der nächsten Wochen, vielleicht sogar Tage, entweder stellen und kämpfen oder sich von Herzog Ferdinand verfolgt nach Frankreich zurückziehen. Clermont würde mit Sicherheit kämpfen.
    Diesen Zeitpunkt wählte Herzog Ferdinand klugerweise, um seinen Truppen - und seiner Artillerie - den letzten Schliff zu

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