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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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es Custis war oder er selbst. Vielleicht war es auch Percy. Es war nicht der andere Mann; er war zu sehr auf sein Tun konzentriert gewesen, hatte in der Ekstase der nahenden Klimax die Augen geschlossen und das Gesicht verzerrt gehabt.
    Weber . Der Name schwebte Grey wie ein Echo durch den Kopf und verschwand. Er hinterließ völlige Leere.
     
    Danach schien alles bemerkenswert langsam vor sich zu gehen. Seine Gedanken waren wie ein Uhrwerk, das mit der Leidenschaftslosigkeit der Logik von einer Sekunde zur nächsten tickte, während sich alle anderen - er selbst mit eingeschlossen - mit großer Schwerfälligkeit bewegten, sich langsam einander zu- und wieder voneinander abwandten, während sich ein Wechselbad aus Erschrecken, Bestürzung und Entsetzen wie kalte Melasse über ihre Gesichter ergoss, die plötzlich alle gleich aussahen.
    Du bist der ranghöchste anwesende Offizier , sagte die leise, kalte Stimme in seinem Kopf, als dieser die Verwirrung registrierte. Du musst reagieren .
    Abrupt nahm alles wieder seine normale Geschwindigkeit an; aus allen Richtungen kamen Stimmen und Schritte, die durch den Aufschrei und das Knallen der Tür angelockt wurden. Fragende Gesichter, gemurmelte Fragen, aufgeregtes Flüstern auf Englisch und Deutsch. Er trat vor und klopfte einmal scharf an die Tür, und die Stimmen hinter ihm verstummten abrupt. Auf der anderen Seite der Tür herrschte ohrenbetäubende Stille.

    »Bitte kleidet Euch an«, sagte er ganz ruhig durch die Holztür hindurch. »Präsentiert Euch in fünf Minuten auf dem Innenhof.« Er trat zurück, betrachtete die Menschenansammlung und pickte sich das Gesicht eines seiner Fähnriche aus der wogenden Menge heraus.
    »Holt zwei Wachen, Mr. Brett. Auf den Hof, und zwar schnell.«
    Ihm wurde dumpf bewusst, dass sich eine Hand auf seinen Arm legte, und er wandte sich blinzelnd zu Custis um.
    »Ich kümmere mich darum«, sagte Custis leise. »Ihr braucht es nicht zu tun. Ihr dürft es nicht tun, Grey. Nicht bei Eurem eigenen Bruder.«
    Das entsetzte Mitgefühl in Custis’ Blick war wie der Stich einer Nadel, der ihn aus seiner Taubheit riss.
    »Nein«, sagte er, und seine Stimme kam ihm selber fremd vor. »Nein, ich muss -«
    »Nein«, wiederholte Custis drängend. Er schob Grey von sich und wandte ihn halb von sich ab. »Geht. In Gottes Namen, geht. Alles wird nur schlimmer, wenn Ihr bleibt.«
    Er schluckte und wurde sich der gaffenden Gesichter bewusst, die die Treppe säumten. Wurde sich bewusst, wie viel schlimmer das Gerede sein würde, dieser besondere Hauch von Schande, die wohligen Schauer des Entsetzens, die Schadenfreude, wenn sich herumsprach, dass er gezwungen gewesen war, seinen eigenen Bruder wegen Sodomie zu verhaften.
    »Ja«, sagte er. Er schluckte erneut, flüsterte »danke« und ging davon, die Treppe hinunter, zählte die Holzstufen, die unter seinen Stiefelspitzen vorbeihuschten, eins, zwei drei, vier … durchschritt mit gedämpften Schritten das Tor, über verstreutes Heu und feuchte Erde, sah Brett und die Wachen auf sich zukommen, hob grüßend die Hand, ohne jedoch anzuhalten, eins, zwei, drei, vier …
    Er schritt geradewegs über die Hauptstraße des Dorfes, ohne auf Schlamm oder Pferdemist zu achten, sich an schreienden Kindern oder bellenden Hunden zu stören, den Blick
unverwandt auf die Felsenspitze des Drachenfelses gerichtet, die sich in der Ferne erhob. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben …

26
    Besäufnis mit Dackel
    Die beiden Männer wurden den befehlshabenden Offizieren ihrer jeweiligen Regimenter übergeben. Hal war mit Herzog Ferdinand im Hauptquartier; in seiner Abwesenheit wurde Percy der Obhut Ewart Symingtons anvertraut und der Hannoveraner Weber dem Stellvertreter des Grafen von Namtzen.
    Symington bewies mehr Takt als Grey ihm zugetraut hätte. Er erwähnte Percy ihm gegenüber mit keinem Wort und hatte offenbar die Order gegeben, dass es auch niemand anders tat. Die Tatsache, dass niemand ihn auf Percy ansprach, bedeutete natürlich nicht, dass niemand über Percy sprach. Die Armee war untätig und erwartete neue Befehle des Herzogs von Braunschweig. Untätigkeit war der ideale Nährboden für Gerede, und Grey empfand die plötzlichen Gesprächspausen, die von Mitgefühl bis Ekel rangierenden Blicke - oder aber auch die abgewandten Blicke der Soldaten und Offiziere - als so verstörend, dass er sich angewöhnte, die Tage allein in seinem Zelt zu verbringen - in das Gasthaus kehrte er nicht zurück -, obwohl

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