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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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geben, um dem Angriff, wenn er denn kam, bestmöglich vorbereitet zu begegnen.
    Daher verbrachte Grey einen Großteil seiner Zeit damit, hin und her zu reiten, Kompanien zu begutachten, die Berichte ihrer Kommandeure entgegenzunehmen, sich mit Quartiermeistern zu streiten, nötigenfalls die Nachbesserung oder den Ersatz der Ausrüstung sowie den Kauf weiterer Zugmaultiere (die sehr gefragt und daher sowohl rar als auch teuer waren) anzuordnen… und mit den zehntausend anderen Kleinigkeiten, die zum Tagewerk eines Majors gehörten.
    Das einzig Gute daran, dachte Grey auf dem Rückweg in das Dorf, in dem er gegenwärtig einquartiert war, war, dass ihm zwischen dem Moment, in dem er den Kopf auf sein Kissen legte, und dem Einschlafen höchstens neunzig Sekunden
Zeit blieben, um sich sexuell frustriert zu fühlen. Die neunzig Sekunden waren nötig, um die einzig mögliche Abhilfe zu schaffen; ansonsten hätte er innerhalb von drei Sekunden geschlafen.
    Er zog den Korken aus seiner Feldflasche und trank in tiefen Zügen; es war ein warmer Spätfrühlingstag, und das Wasser schien nicht nur nach dem Blech und dem Buchenholz der Feldflasche zu schmecken, sondern dazu nach aufsteigendem Harz, bittersüß und durchdringend. Vor ihm ragte der Drachenfels auf - jener Felsengipfel am Rheinufer, auf dem Siegfried der Sage nach den Drachen getötet hatte -, romantisch in den Dunst gehüllt, der vom Fluss aufstieg, und in den unteren Lagen mit grünenden Weingärten bewachsen.
    Das Frühlingswetter ließ niemanden unbeeinträchtigt; Wachtposten rannten verträumt vor Wände, legten ihre Musketen auf einen Acker und vergaßen sie dort oder entfernten sich unerlaubt, bis man sie dösend unter einer Hecke oder in einem Heuhaufen fand, oftmals eng umschlungen mit einer Frau.
    Grey hätte es womöglich als ungerecht empfunden, dass ihm dies nicht vergönnt war - doch er erinnerte sich an seinen ersten Feldzug. Damals hatten Hector und er sich davongestohlen, um unter dem sternenbesäten Himmel in Nestern aus Frühlingsgras süße Zweisamkeit zu finden, und ihre jugendliche Hitze hatte die Abendkühle wieder wettgemacht. Seine Ranghöhe hatte ihre Vorteile, doch sie hatte unleugbar ebenso ihre Nachteile. Immerhin war ihm meistens das Vergnügen vergönnt, die Abende in Percys Gesellschaft zu verbringen, wenn er sie auch nicht in Gänze auskosten konnte.
    Seufzend verkorkte er die Feldflasche wieder und sah sich nach Richard Brett um, dem Fähnrich, der ihn begleitete. Brett war der jüngste der Fähnriche. Er war erst fünfzehn, und während er normalerweise Klugheit und Fleiß an den Tag legte, litt er jetzt besonders unter den Auswirkungen des Frühlings. Wahrscheinlich aufgrund seines jugendlichen Alters, dachte Grey.
    Im Moment war Brett nirgendwo in Sicht, wenn auch sein
Pferd mit baumelnden Zügeln zufrieden am üppig grünen Straßenrand graste. Als er sein eigenes Pferd in diese Richtung trieb, entdeckte Grey ein offenes Tor in der Mauer eines Bauernhofs. Dahinter lehnte Mr. Brett mit den Ellbogen auf einer Brunnenumrandung und hing mit anbetungsvollem Blick an einer jungen Frau, die einen Eimer Wasser herauszog und ihn anlächelte.
    Die Tatsache, dass Brett kein Deutsch sprach und die junge Frau ganz offensichtlich kein Englisch verstand, stand ihrem Gefühlsaustausch offenbar nicht im Wege; der Körper hatte seine eigene Sprache.
    Grey stieg resigniert, aber in Gönnerlaune ab und ließ sein Pferd ebenfalls grasen. »Zehn Minuten, Mr. Brett«, rief er. Dann suchte er sich ein grasiges Fleckchen ein wenig abseits der Straße, legte sich hin und zog sich den Hut über die Augen.
    Der Boden unter ihm war warm, die Sonne über ihm ebenfalls, und er spürte, wie seine Knochen und Muskeln dahinschmolzen und sich die fest angespannten Sprungfedern in seinem Kopf lösten wie ein abgelaufenes Uhrwerk. Er unternahm einen vergeblichen Versuch, sich auf die Dutzende von Dingen zu konzentrieren, mit denen er sich eigentlich beschäftigen sollte, doch dann gab er auf. Es war Frühling.
     
    Als es Abend wurde, war es immer noch Frühling, und bei seiner Rückkehr in das Dorf dachte Grey an Türknäufe. An einen bestimmten Türknauf. Tom hatte ihm ein kleines Zimmer unter dem Dach des örtlichen Gasthofs besorgt; klein, aber mit einer Tür, die sich abschließen ließ, eine Einrichtung, die für diese Gegend höchst ungewöhnlich war.
    Oder zumindest hatte die Tür ein Schloss. Der Schlüssel dazu hatte sich zwar noch nicht gefunden, doch

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