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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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besser, in Gesellschaft zu sein, als sich allein mit seinen Gedanken in der Dunkelheit zu wälzen.
    Nach und nach wurde ihm bewusst, dass ein Augenpaar auf ihm ruhte, und als er den Kopf hob, stellte er fest, dass er der Anziehungspunkt für ein kleines Mädchen war, das vor ihm stand. Sie trug eine adrette Schürze, ein Häubchen und eine unerwartete Brille, die ihre Augen stark vergrößerte und ihren Blick dadurch noch intensiver wirken ließ. Sie hatte die Stirn schwach gerunzelt, als sei sie sich nicht ganz sicher, was sie da vor sich hatte.

    »Bitte schön?«, sagte er auf Deutsch.
    Das kleine Mädchen verneigte sich und sah ihn noch gebannter an.
    »Herr Thomas hat gesagt, ich darf ruhig mit Euch sprechen, mein Herr«, verkündete sie.
    »Ach ja? Nun, dann darfst du es wohl«, sagte er ernst. »Wie heißt du denn, Kleine?«
    »Agnes-Maria. Herr Thomas sagt, Ihr seid ein großer Graf.« Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich, und ihr Tonfall enthielt einen Hauch von Zweifel, als hätte sie den Verdacht, an der Nase herumgeführt worden zu sein.
    »Äh … so etwas Ähnliches«, erwiderte Grey argwöhnisch. »Warum?«
    Sie zog einen Tintenbehälter, eine Schreibfeder und ein Schulheft aus den Falten ihrer Schürze, stellte alles neben ihn auf den Tisch und schlug das Heft auf einer leeren Seite auf.
    »Ich soll eine Seite schreiben.« Sie seufzte über die Enormität dieser Aufgabe und richtete ihre riesigen blauen Augen tadelnd auf ihn, als sei diese Plackerei irgendwie seine Schuld. »Eine Seite über ein fremdes Land. Aber ich weiß nicht mehr, was uns der Schulmeister über Frankreich oder Holland erzählt hat. Aber Herr Thomas sagt, Ihr seid schon einmal in Schottland gewesen und wisst alles darüber. Also -« Sie öffnete den Tintenbehälter und griff ganz selbstverständlich nach ihrem Federkiel. »Ihr könnt mir erzählen, was Ihr wisst, und ich schreibe es auf.«
    »Das nenne ich Arbeitsteilung«, sagte er und musste lächeln. »Nun denn. Lass mich überlegen, wo wir anfangen … Vielleicht sollten wir zuerst sagen, wo Schottland liegt? Ja, das kommt mir richtig vor. ›Schottland liegt im Norden von England. ‹«
    »Ist es dort kalt?«, erkundigte sich das Mädchen, während es seine Worte sorgsam niederschrieb.
    »Sehr kalt. Und es regnet ohne Unterlass. Ich buchstabiere dir ›Unterlass‹ …«
    Er verbrachte eine angenehme halbe Stunde mit Agnes-Maria
in Schottland. Danach war er zwar nicht ruhiger, aber doch zumindest ein wenig abgelenkt, und als er zu Bett ging und einschlief, träumte er von kalten hohen Bergen und dem Rauch eines Feuers auf dem Carryarick-Pass.

29
    Der Morgen der Schlacht
    Er erwachte schlagartig aus einer Welt jenseits der Träume. Tarletons Gesicht hing dicht über dem seinen.
    »Sir! Wir haben sie gefunden! Es geht los!«
    So war es. Ringsum wälzten sich die Offiziere aus ihren Betten, zogen sich die Lockenpapierchen aus den Haaren, stolperten barfuß umher und riefen fluchend nach Dienstboten, Bier und Nachttöpfen.
    Schon war Tom zur Stelle, um Grey mit ein und derselben Handbewegung das Nachthemd über den Kopf zu zerren und ihm das Hemd anzuziehen.
    »Wo denn?«, wollte er von Tarleton wissen, als sein Kopf wieder zum Vorschein kam. Während er sich das Hemd zurechtzog, bückte sich Tom bereits mit seiner Hose.
    »Hinter diesem Deich, dieser Landwehr.« Tarleton tanzte vor Ungeduld auf den Zehenspitzen. »Wir haben sie gesehen - ich und ein anderer Kundschafter, der auch auf dem Kirchturm war. Es fing an, hell zu werden, und da waren sie und krochen hinter dem Deich entlang, die alten Feiglinge!« Sein Gesicht leuchtete unter einem Flaum aus weichen, hellen Barthaaren.
    »Gut gemacht, Mr. Tarleton.« Grey lächelte und steckte sich das Hemd in die Hose. »Geht Euch rasieren. Dann holt Mr. Brett, versorgt mein Pferd und esst etwas. Alle beide. Wir treffen uns - autsch!« Toms Hände hielten in ihrer Hast inne, um den Haarknoten zu entwirren, auf den seine Bürste gerade gestoßen war. »Wir treffen uns im Stall. Los!« Er wedelte mit der Hand, und Tarleton schoss aus dem Zimmer wie ein aufgescheuchter Hase.

    »Apropos Rasur, Mylord …« Tom legte zielsicher die Bürste beiseite und griff nach dem Töpfchen mit der Rasierseife, um mit einem Pinsel aus Dachsborsten nach Lavendel duftenden Schaum anzurühren.
    Während er auf dem Bett saß und sich eilig von Tom rasieren und das Haar flechten und hochbinden ließ, fragte sich Grey, wo wohl die kleine Agnes-Maria war.

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