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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Wahrscheinlich zog sie sich in diesem Moment eilig mit ihrer Familie hinter die englischen Linien zurück. Wenn sich Clermonts Armee tatsächlich hinter der Landwehr anschlich, befand sich die französische Artillerie wahrscheinlich in Reichweite der Hückelsmay - und die Franzosen kannten keinen Respekt vor Privatbesitz.
    »Hier, Mylord.« Tom drückte ihm eine Pistole in die Hand und bückte sich dann, um ihm den Schwertgürtel umzulegen. »Sie ist noch nicht geladen. Möchtet Ihr Eure Munition haben, oder soll einer von Euren Jungen sie nehmen?«
    »Ich nehme sie. Kugelbeutel, Pulver …« Er berührte die einzelnen Teile, die an seinem Gürtel hingen, um zu überprüfen, ob er alles hatte, dann schob er die Arme nach hinten in die Lederweste, die Tom ihm hinhielt. Diese Weste trug er auf dem Schlachtfeld statt der üblichen Uniformweste.
    Ihm war durchaus bewusst, dass einige der rangniederen englischen Offiziere dieses Kleidungsstück für verachtenswert hielten, doch auf die meisten von ihnen war auch noch nie geschossen worden. Auf Grey dagegen schon, und zwar wiederholt. Bei einem Schuss aus nächster Nähe würde ihm die Weste zwar nicht helfen, doch die meisten französischen Musketen hatten nur eine kurze Reichweite, daher hatten viele Musketenkugeln kaum noch Schlagkraft, wenn sie ihr Ziel erreichten. Manchmal konnte man sie sogar beinahe träge durch die Luft taumeln sehen wie Hummeln.
    Rock, Epauletten, Halsberge, Hut … Nahrung. Allzeit bereit wie immer, hatte ihm Tom ein dick mit Butter bestrichenes deutsches Brötchen in die Hand gedrückt. Grey stopfte sich den letzten Bissen in den Mund, schüttelte sich die Krümel von den Ärmelaufschlägen und spülte ihn mit Kaffee herunter -
eine der anderen Ordonnanzen hatte ihn auf einer Alkohollampe aufgebrüht, und sein Duft weckte die Lebensgeister.
    Tom schritt um ihn herum und kniff konzentriert die Augen zusammen, um ja kein lebenswichtiges Detail seiner Erscheinung zu übersehen. Sein rundes, sommersprossiges Gesicht war nervös, doch er schwieg. Grey berührte ihn sanft an der Schulter, und er blickte auf.
    »Mylord?«
    »Danke, Tom. Ich gehe jetzt.« Das Durcheinander hatte sich nun weitgehend gelegt. Offiziere donnerten die Holztreppe hinunter, brüllten sich gegenseitig an, riefen nach ihren Fähnrichen, und die Luft war voller Aromen - Kaffee, Schießpulver, Schuhwichse, angesengte Haare, Pfeifentabak und ein strenger Hauch frischen Urins, sowohl aus den Nachttöpfen als auch von den feuchten Brotklumpen, die die Ordonnanzen benutzten, um die Goldtressen zu polieren.
    Tom schluckte und trat beklommen einen Schritt zurück.
    »Ich erwarte Euch dann mit dem Abendessen, Mylord.«
    »Danke«, wiederholte Grey und wandte sich zum Gehen. Er war schon an der Tür, als er Tom hinter sich rufen hörte.
    »Mylord! Euer Dolch!«
    Er fuhr sich automatisch mit der Hand an die Hüfte, griff aber ins Leere. Er machte auf dem Absatz kehrt und sah Tom mit dem Dolch in der Hand vor sich stehen. Er nahm ihn mit einem dankbaren Kopfnicken entgegen, drehte sich um und steckte sich das Messer in die Scheide, während er die Treppe hinunterrannte.
    Sein Herz hämmerte - teilweise aufgrund der Atmosphäre der Aufregung, die mit jeder bevorstehenden Schlacht einhergeht, teilweise aufgrund der Vorstellung, dass er sich fast ohne den Dolch auf dem Schlachtfeld wiedergefunden hätte. Er trug diese Waffe, seit er sechzehn war, und ohne sie wäre er sich trotz Pistole und Schwert unbewaffnet vorgekommen.
    Die Tatsache, dass er den Dolch vergessen hatte, dachte er, war kein gutes Zeichen, und er fasste zur Beruhigung an den mit Draht umwickelten Knauf.

     
    Die Schweine schnarchten draußen noch. Die Landwehr war in solch dichten Nebel gehüllt, dass Grey sich fragte, wie die Kundschafter die französischen Soldaten überhaupt hatten sehen können. Die Luft war frisch, und hin und wieder fiel ein wenig Sprühregen. Das Wetter konnte die Hochstimmung der Männer nicht beeinträchtigen.
    Er ritt langsam zwischen den sich formierenden Kolonnen hindurch. Brett und Tarleton schäumten hinter ihm geradezu vor Erregung. Er spürte, wie dieselbe Erregung auch ihn durchpulste - spürte sie in Wellen von den Männern ausgehen, die jetzt scheppernd und fluchend in Position gingen.
    Wie mag das funktionieren? , hatte sein Vater nach der Schlacht von Sheriffsmuir in sein Feldtagebuch geschrieben. Wie übertragen sich Emotionen zwischen Männern, ohne jede Geste, ohne ein einziges Wort?

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