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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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nach unten verzogen war. Der Name kam ihm so blitzartig in den Sinn, als hätte jemand eine Aufschrift in dem Gesicht angebracht - Longstreet. Mr. Longstreet, Stabsarzt.
    »Mist«, sagte er und schloss die Augen. Hal drückte erneut zu, weil er dies offensichtlich für eine Reaktion auf den Schmerz hielt.
    Eine weitere Stimme erhob sich am Fußende des Bettes, diesmal auf Deutsch. Ein kräftiger Kerl in Uniform, der entschieden mit dem Finger auf Grey zeigte.
    »… müssen amputieren, wie ich schon sagte.«
    Er war gerade eben genug bei Bewusstsein, um dies zu hören, und wedelte zu seiner Verteidigung schwach mit dem unverletzten Arm.
    »… lieber sterben.« Seine Stimme war so heiser und brüchig, dass er sie kaum erkannte und sich im ersten Moment fragte, wer das gesagt hatte. Doch Hal sah ihn finster an und achtete einen Moment lang nicht auf den Arzt.
    Seine Wangenschleimhaut klebte ihm an den Zähnen fest, und er bewegte verzweifelt die Zunge, um genug Speichel zum Sprechen zu produzieren. Sein Körper verkrampfte sich vor Anstrengung, und er erhob sich vom Bett. Feuer züngelte an seiner linken Körperhälfte entlang.
    »Das darfst du nicht… zulassen«, sagte er an das verschwimmende Gesicht seines Bruders gerichtet und ließ sich mit Alarmrufen im Ohr erneut in die Finsternis sinken.
    Als er wieder zu sich kam, fand er sich an ein Bett gefesselt wieder. Er vergewisserte sich rasch, doch sein linker Arm war
nach wie vor unter den Lebenden. Man hatte ihn geschient und verbunden, und er tat erstaunlich weh, viel schlimmer als bei seinem letzten Erwachen, doch er hatte nicht vor, sich zu beklagen.
    Überrascht stellte er fest, dass die Ärzte immer noch diskutierten - diesmal auf Deutsch. Einer von ihnen beharrte Hal gegenüber darauf, dass »er« - wahrscheinlich war Grey damit gemeint - ohne jeden Zweifel sterben würde. Ein anderer - er glaubte, dass es Longstreet war, obwohl er ebenfalls Deutsch sprach - beharrte darauf, dass Hal die Ärzte ihre Arbeit tun lassen müsste.
    »Ich gehe nicht«, sagte Hal dicht neben ihm. »Und er wird nicht sterben, oder?«, erkundigte er sich, als er sah, dass Grey wach war.
    »Nein.« Eine freundliche Seele hatte ihm erneut die Lippen benetzt; das Wort kam als Flüstern heraus, doch es war hörbar.
    »Gut. Dann tu das auch nicht«, forderte Hal ihn auf, dann wandte er den Blick ab. »Byrd, stellt Euch vor die Tür und haltet Wache. Es hat niemand hier hereinzukommen, wenn ich es nicht erlaube. Versteht Ihr?«
    »Ja, Mylord.« Die Hand, die auf Greys Schulter lag, verschwand, und er hörte Tom Byrds Schuhe über den Boden hasten, dann öffnete sich die Tür und schloss sich wieder.
    Mit absoluter Ruhe und großer Klarheit kam Grey der Gedanke, dass es für eine ganze Reihe von Leuten - darunter auch ihn selbst - ausgesprochen praktisch sein würde, wenn er an seinen Verletzungen starb.
    Percy? Bei dem Gedanken an Percy empfand er nicht mehr als einen dumpfen Schmerz, behielt aber diesen seltsam klaren Kopf. Vor allem für Percy. Custis war tot. Stürbe er auch, gäbe es niemanden mehr, der vor dem Kriegsgericht aussagen konnte, und eine solche Anklage konnte nur verfolgt werden, wenn es Zeugen gab.
    Würden sie Percy unter diesen Umständen laufen lassen? Wahrscheinlich ja. Seine Militärlaufbahn wäre natürlich beendet.
Doch die Armee würde ihn viel lieber im Stillen entlassen, als den Skandal eines Prozesses wegen Sodomie auf sich zu nehmen.
    »Meinst du, es war so, wie er gesagt hat - dass es meine Schuld ist?«, fragte er seinen Vater, der neben seinem Bett stand und auf ihn niederblickte.
    »Das glaube ich nicht.« Sein Vater rieb sich mit dem Zeigefinger unter der Nase entlang, wie er es stets tat, wenn er überlegte. »Du hast ihn doch nicht dazu gezwungen.«
    »Aber meinst du, dass er Recht hatte? Hat er es nur getan, weil ich ihm nicht geben konnte, was er brauchte?«
    Der Herzog runzelte verblüfft die Stirn.
    »Nein«, sagte er und schüttelte tadelnd den Kopf. »Das entbehrt jeder Logik. Ein jeder Mensch wählt seinen Weg selbst. Niemand sonst ist dafür verantwortlich.«
    »Was entbehrt jeder Logik?«
    Grey blinzelte und sah, dass ihn Hal stirnrunzelnd betrachtete.
    »Was entbehrt jeder Logik?«, wiederholte sein Bruder. Grey versuchte zu antworten, fand es aber zu anstrengend und schloss einfach nur die Augen.
    »Schön«, fuhr Hal fort. »Du hast Metallfragmente in der Brust; sie werden sie entfernen.« Er zögerte und umschloss dann Greys Finger sanft mit

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