Die Sünde der Brüder
stand dort in großen Lettern.
Er blieb abrupt stehen, denn inmitten des kleiner gedruckten Textes fiel ihm der Name »Ffoulkes« ins Auge.
»Was ist?« Percy war zwangsweise ebenfalls stehengeblieben und ließ den Blick neugierig von Grey zu der Flugschrift schweifen.
»Nichts. Nur ein Name, den ich kenne.« Greys Hochgefühl wurde ein wenig gedämpft, obwohl es zu stark war, um sich vollständig unterdrücken zu lassen. »Ist Euch ein Anwalt namens Ffoulkes bekannt? Melchior Ffoulkes?«, fragte er Percy.
Letzterer zog eine verständnislose Miene und schüttelte den Kopf.
»Mein Bekanntenkreis ist leider nicht sehr groß«, sagte er entschuldigend. »Sollte ich von Mr. Ffoulkes gehört haben?«
»Aber nicht doch.« Grey hätte Ffoulkes am liebsten aus seinem Kopf verdrängt, fühlte sich aber verpflichtet nachzusehen, ob irgendetwas von dem, was Hal ihm erzählt hatte, an die Presse gelangt war. Er warf dem Wirt einen silbernen Halfpenny zu und ergriff die Flugschrift, die er sich zusammengefaltet in die Tasche steckte. Dafür war später noch genug Zeit.
Draußen hatte der Schneeregen aufgehört, doch der Himmel hing tief, und eine Aura der Stille lag in der Luft, während die Erde weiter auf Schnee wartete. Allein, fern von der Geschäftigkeit des Kaffeehauses entstand plötzlich ein Gefühl der Intimität zwischen ihnen.
»Ich muss mich entschuldigen«, sagte Percy, als sie sich dem Hyde Park zuwendeten.
»Wofür denn?«
»Für meinen unglückseligen Schnitzer von gestern, in Bezug auf Euren Bruder. Der General hatte mir gesagt, dass ich ihn unter keinen Umständen mit ›Euer Gnaden‹ ansprechen darf, aber er war noch nicht dazu gekommen, mir zu erklären, warum.«
Grey prustete.
»Hat er es Euch inzwischen erzählt?«
»Nicht sehr detailliert.« Percy sah ihn neugierig an. »Nur, dass es einen Skandal gegeben hat, in dessen Folge Euer Bruder auf seinen Titel verzichtet hat.«
Grey seufzte. Unvermeidlich, das hatte er gewusst. Dennoch wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie diese erste Verabredung ganz für sich gehabt hätten, ohne Störung durch die Vergangenheit oder die Gegenwart.
»Nicht ganz«, sagte er. »Aber so ähnlich.«
»Aber Euer Vater war doch Herzog?« Wainwright warf ihm einen argwöhnischen Blick zu.
»Ja. Der Herzog von Pardloe.« Der Titel fühlte sich fremd auf seiner Zunge an; er hatte ihn seit… fünfzehn Jahren? … nicht mehr ausgesprochen. Länger sogar. Er spürte das gewohnte Gefühl der inneren Leere bei dem Gedanken an seinen
Vater. Doch wenn zwischen ihm und Percy Wainwright etwas entstehen sollte…
»Aber Euer Bruder ist jetzt nicht der Herzog von Pardloe?«
Grey lächelte ebenso unwillkürlich wie ironisch.
»Doch. Aber er weigert sich, den Titel zu benutzen, und lässt auch nicht zu, dass ihn jemand anders benutzt. Daher die gelegentlichen Peinlichkeiten.« Er vollführte eine kleine, entschuldigende Geste. »Mein Bruder ist ein sehr sturer Mensch.«
Wainwright zog eine Augenbraue hoch, als wollte er andeuten, dass Melton vielleicht nicht das einzige Mitglied der Familie Grey war, das einen solchen Charakterzug an den Tag legte.
»Ihr braucht es mir nicht zu sagen«, sagte er jedoch und berührte Grey kurz am Arm. »Es ist sicher eine schmerzliche Angelegenheit.«
»Ihr werdet es früher oder später sowieso hören, und Ihr habt das Recht, es zu erfahren, da Ihr ja im Begriff seid, eine Verbindung mit meiner Familie einzugehen. Mein Vater hat sich erschossen«, sagte Grey abrupt. Percy blinzelte schockiert.
»Oh«, sagte er leise und berührte ihn erneut sacht am Arm. »Das tut mir so leid.«
»Mir auch.« Grey räusperte sich. »Kalt, nicht wahr?« Er zog sich die Handschuhe an und rieb sich die Nase. »Es - Ihr habt doch von den Jakobiten gehört? Und der South-Sea -Spekulationsblase?«
»Ja. Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun?«, fragte Percy verwirrt. Grey spürte, wie seine Lippen zuckten, aber doch nicht lächelten.
»Nichts, soweit ich weiß. Aber beides hatte etwas mit dem - dem Skandal zu tun.«
Gerard Grey, Graf von Melton, war ein gewitzter Mann gewesen, der einer alten, ehrbaren Familie entstammte, gebildet, gut aussehend und reich war - und einen rastlosen, neugierigen Verstand besaß. Außerdem war er ein hervorragender Soldat gewesen.
»Mein Vater hat den Titel schon als sehr junger Mann geerbt. Es hat ihm nicht gereicht, auf dem Familienanwesen herumzuwerkeln. Er hatte jede Menge Geld - und meine Mutter hat noch mehr
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