Die Sünde der Brüder
sich so deutlich wie eine
Flamme vor den feuchten Grün- und Grautönen der Hügellandschaft abmalte. Er sah es, sah die lange, argwöhnische Nase, die schmalen, feindseligen Leopardenaugen, als stünde der Mann persönlich vor ihm, und das angenehme Rauschen seines Blutes verwandelte sich augenblicklich in etwas Grundlegenderes, etwas Elementares.
Jetzt begriff er auch, dass ihm diese Vision sofort gekommen war, im selben Moment, als seine Mutter die Worte: »Geneva Dunsany ist tot« ausgesprochen hatte - obwohl er sie instinktiv unterdrückt hatte. Geneva Dunsany bedeutete Helwater. Und Helwater bedeutete nicht nur seine Erinnerungen an Geneva oder den Schmerz ihrer Eltern und ihrer Schwester. Es bedeutete Jamie Fraser.
»Gottverdammt«, sagte er leise zu der Vision. »Doch nicht jetzt. Scher dich fort!«
Er setzte den Weg zu seiner Verabredung fort, ohne den Schneeregen zu beachten, und es gärte in seinem erhitzten Blut.
Sie hatten beschlossen, sich schon vorab zu treffen und dann zusammen zu Lady Jonas’ Salon zu gehen. Da er weder Wainwrights finanzielle Mittel noch seine Vorlieben kannte, hatte Grey das Balboa gewählt, ein bescheidenes Kaffeehaus in der Nähe der Börse, dessen Kundschaft zum Großteil aus Seekaufleuten und Großhändlern bestand.
Hier herrschte immer ein munteres Treiben, und Männer hockten in kleinen Gruppen zusammen, um Strategien auszuhecken und Verträge auszudiskutieren, tief in die Details ihres Geschäftes versunken, während über allem der belebende Duft röstenden Kaffees schwebte. Hin und wieder kam eine Schreibkraft oder ein Lehrling panisch herbeigeeilt, um einen der Kunden zu holen, damit er sich um eine dringende Geschäftsangelegenheit kümmerte - doch jetzt herrschte die Ruhe nach dem Mittagessen; die meisten Kaufleute und die Angestellten der Börse waren in ihre Amtsstuben oder Lagerhäuser zurückgekehrt; zumindest würde man sich unterhalten können.
Grey war wie üblich pünktlich und erreichte das Kaffeehaus im selben Moment, als seine Taschenuhr drei zu schlagen begann, doch Percy Wainwright war schon da und hatte sich an einen Tisch im hinteren Bereich gesetzt.
Er erkannte ihn doch; das lächelnde Gesicht seines zukünftigen Stiefbruders schien ihm geradezu aus dem gedämpften Licht entgegenzuspringen, leuchtend, als säße er neben einer brennenden Kerze, und der verstörende Geist Jamie Frasers verschwand auf der Stelle aus Greys Gedanken.
»Ihr seid ja sehr zeitig«, merkte er an, während er Wainwright mit einer Geste bedeutete, sich wieder hinzusetzen, und ihm gegenüber Platz nahm. »Ich hoffe, Ihr hattet keinen weiten Weg?«
»Oh, nein; meine Wohnung ist ganz in der Nähe - an der Audley Street.« Wainwright wies kopfnickend in die entsprechende Richtung, doch sein Blick blieb fest auf Grey gerichtet, freundlich, aber von brennender Neugier erfüllt.
Grey war nicht weniger neugierig, achtete aber darauf, nicht den Anschein zu erwecken, als nähme er seinen Begleiter allzu genau unter die Lupe. Er bestellte sich einen Kaffee und nutzte dann die Gelegenheit, Wainwright verstohlen zu betrachten, während dieser mit dem Kellner sprach. Er kleidete sich stilvoll, ein eleganter, aber unauffälliger Schnitt, der Stoff schon ein wenig abgetragen, aber ursprünglich von guter Qualität. Feines, makelloses Leinen - genau wie die langen Finger mit den vorstehenden Gelenken, die jetzt nach der Zuckerzange griffen, während Wainwright fragend die Augenbrauen hochzog.
Grey schüttelte den Kopf.
»Ich mag keinen Zucker, aber ich nehme Sahne.«
»Genau wie ich.« Wainwright legte die Zange augenblicklich wieder hin, und sie lächelten unerwartet über die Feststellung, dass sie diese kleine Vorliebe teilten - dann wurde das Lächeln breiter, bis sie schließlich über diese Absurdität lachten, weil ihnen nichts Vernünftiges einfiel, was sie hätten sagen können.
Grey nahm seinen Kaffee und schüttete etwas davon zum Abkühlen auf seine Untertasse, während er sich fragte, was er als Nächstes sagen sollte. Er war extrem neugierig darauf, mehr über Percy Wainwright zu erfahren, war sich aber nicht sicher, wie weit er nachfragen konnte, ohne diesen zu kränken.
Ein wenig hatte er bereits von seiner Mutter gehört; Percy Wainwright war der Sohn eines verarmten Predigers, der jung gestorben war und dem Jungen und seiner Mutter eine kleine Pension hinterlassen hatte. Sie hatten einige Jahre am Rande der Armut gelebt, doch Mrs. Wainwright war eine große
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