Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
stirnrunzelnd und hatte das obskure Gefühl, dass etwas nicht stimmte, ohne zu begreifen, was es war. Dann schlossen sich seine Finger automatisch um den Ring.

    Die Hände seines Bruders waren genauso groß wie die seinen; sie verwechselten routinemäßig aus Versehen ihre Handschuhe. Hal trug seinen Ring am Mittelfinger. Also war es nicht Hals Ring.
    Er zog ihn aus und drehte ihn, um ihn im Kerzenschein blinzelnd zu untersuchen, doch er besaß keine Gravur, die seinen Besitzer ausgewiesen hätte. Grey war zwar selbst kein Freimaurer, doch er hatte viele Freunde, die es waren; solche Ringe waren unter ihnen weit verbreitet.
    »Tja, wo zum Teufel habe ich dich nur aufgelesen?«, sagte er laut zu dem Ring.

ZWEITER TEIL
    Helwater

6
    Bruchstellen
    Jedes Mal glaubte er, es würde anders sein. Solange er auf Feldzügen ganz in der von Schrecknissen unterbrochenen Langeweile des Soldatendaseins aufging, weit weg von den einfachen Dingen des täglichen Lebens, dem normalen menschlichen Miteinander - so lange war es verständlich, dass Jamie unter diesen Umständen in seinen Gedanken eine bemerkenswerte Figur war; dass er den Mann als Talisman benutzte, als Prüfstein seiner eigenen Gefühle.
    Doch dieser Effekt musste doch nachlassen, sollte doch sogar verschwinden, wenn er den Mann tatsächlich sah? Fraser war Schotte und Jakobit, ein ehemaliger Kriegsgefangener und ein Stallknecht - ein Mann, von dem er normalerweise keinerlei Notiz nehmen würde, ganz zu schweigen davon, ihn besonders zu schätzen.
    Und trotzdem war es jedes Mal dasselbe, verdammt. Wie konnte das sein? Und warum?
    Schon wenn er die gewundene Zufahrt nach Helwater entlangritt, schlug ihm der Puls in den Ohren. Dann begrüßte er Dunsany und seine Familie, plauderte freundschaftlich über dies und jenes, nahm eine Erfrischung zu sich, bewunderte die Kleider der Frauen und Lady Dunsanys jüngstes Gemälde - und dabei erfüllte ihn wachsende, quälende Ungeduld, der Wunsch - die Notwendigkeit -, die Stallungen aufzusuchen, Ausschau zu halten, zu sehen.
    Und ihn dann irgendwo zu erspähen - bei der Arbeit mit einem Pferd, beim Flicken eines Weidezauns - oder ihm unerwartet direkt gegenüberzustehen, wenn er aus der Sattelkammer kam oder von seinem Schlafplatz auf dem Heuboden hinunterstieg.
Jedes Mal vollführte Greys Herz einen Satz in seiner Brust.
    Die Umrisse von Hals und Rücken, die solide gebauten, langen Oberschenkel, die sonnengebräunte Haut an seinem Hals, die sonnengebleichten Härchen auf seinen Armen … selbst die kleinen Fehler, die Narben, die seine Hand entstellten, die Pockennarbe an seinem Mundwinkel … und die schrägen Augen, die von Feindseligkeit und Argwohn verdunkelt wurden. Wahrscheinlich war es ja nicht besonders überraschend, dass er körperliche Erregung empfand; der Mann war eine Schönheit - eine gefährliche Schönheit.
    Und doch legte sich seine Nervosität augenblicklich, wenn er sich in Frasers Gegenwart befand. Ruhe legte sich über ihn, eine seltsame Zufriedenheit.
    Sobald er dem Mann in die Augen geblickt hatte und diese ihn wahrgenommen hatten - konnte er ins Haus zurückkehren, seinen Erledigungen nachgehen, sich mit anderen Menschen unterhalten. Es war so, als hätte er Angst, die Welt könnte sich in seiner Abwesenheit verändert haben, und bekäme dann die Bestätigung, dass dies nicht so war; Jamie Fraser war immer noch ihr Mittelpunkt.
    Würde es jetzt wieder so sein? Eigentlich durfte es das nicht. Schließlich gab es jetzt Percy Wainwright, der seine Aufmerksamkeit für sich beanspruchte. Und doch… er nickte Tom zu und ließ sein Pferd in die gewundene Straße einbiegen, die hinauf nach Helwater führte. Seine Brust war von einem Schmerz erfüllt, als schnürte ihm die kalte Luft die Lunge zu.
    Eigentlich dürfte es das nicht , wiederholte er schweigend in Gedanken.
    Und doch…
     
    Der Tod seiner Tochter hatte Lord Dunsany schwer zugesetzt. Der Tod seines Sohnes während des Jakobitenaufstandes hatte ihn plötzlich altern lassen, und in seinem Gesicht hatten sich Falten gebildet wie trockene, von unvergossenen Tränen gegrabene Täler. Und doch war der alte Adelsherr damals ein
Fels in der Brandung gewesen, der seiner Frau und seinen Töchtern Kraft spendete.
    Jetzt… erhob sich Dunsany, um Grey zu begrüßen, und dieser war so alarmiert über seine Erscheinung, dass er den Hut zu Boden fallen ließ und auf seinen Freund zueilte, um ihn zu umarmen - nicht nur, weil er seine Trauer teilte, sondern auch,

Weitere Kostenlose Bücher