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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Nacht an Genevas Sarg beten, wenn nicht… doch nein. Dieses »Ich war ihr Stallknecht« hatte … feindselig geklungen? Bitter? Jedenfalls waren es nicht die respektvollen Worte eines treuen, trauernden Dienstboten. Das hätte er auf einen ganzen Stapel Bibeln geschworen.
    Grey gab diesen verwirrenden Gedankengang auf und atmete kalte Luft und Kerzenwachs ein; er konnte die Atmung des Schotten hören, ein wenig heiser und verkrampft. Mein Gott, hatte er etwa geweint? Auch diesen Gedanken verfolgte er nicht weiter; es war so kalt, dass sich jeder einen Schnupfen holen konnte, erst recht jemand, der so verrückt war, sich halb nackt auf den eiskalten Steinboden zu legen.
    »Ich war ihr Freund«, sagte Grey leise.
    Fraser gab keine Antwort, sondern blieb einfach nur zwischen Grey und dem Sarg stehen. Grey sah, wie er den Kopf wandte. Seine Augenbrauen und Bartstoppeln glänzten rot im Kerzenschein, der die Linien seines Gesichtes in Gold tauchte. Sein langer Hals bewegte sich, denn er schluckte. Dann wandte Fraser sich ihm zu, und sein Gesicht verschwand wieder im Schatten.

    »Dann lasse ich sie bis zum Morgen in Euren Händen zurück.«
    Er sagte es so leise, dass Grey sich nicht sicher war, es tatsächlich gehört zu haben. Doch er spürte eine Berührung an seiner Hand, so leicht wie ein kalter Luftzug, und Fraser schob sich an ihm vorbei und war fort. Der gedämpfte Schlag, mit dem sich die Tür der Kapelle schloss, verriet als einziges Geräusch, dass er gegangen war.
    Grey sah sich ungläubig um, doch es war nichts zu sehen. In der Kapelle war es dunkel und still bis auf den Regen, der auf den Dachschiefer trommelte.
    Hatte diese außergewöhnliche Begegnung tatsächlich stattgefunden? Im ersten Moment glaubte er, womöglich zu träumen - dass er vom Regen eingelullt in seinem Sessel am Kamin eingeschlafen sein musste. Doch er legte die Hand auf die Kante der Bank an seiner Seite und spürte hartes, kaltes Holz unter seinen Fingern.
    Und vor ihm stand der Sarg, nüchtern und weiß im Kerzenlicht. Die Flammen flackerten, als ein Luftzug die Kapelle aufstörte, dann beruhigten sie sich wieder, rein und reglos hielten sie Wache.
    Ohne recht zu wissen, was er tun sollte, setzte er sich in die vordere Bank. Vielleicht sollte er beten, aber jetzt noch nicht.
    Was war es, das Fraser gesagt hatte? Das war sie wohl. Eine Gräfin .
    Das war sie gewesen - während der kurzen Monate ihrer Ehe. Und jetzt war nichts von ihr und ihrem Mann geblieben außer diesem kleinen, rätselhaften Stück Leben, dem neunten Grafen von Ellesmere.
    Ich lasse sie bis zum Morgen in Euren Händen zurück .
    Hatte Fraser etwa vorgehabt, die ganze Nacht Wache zu halten, auf dem Boden vor ihrem Sarg? Offenbar erwartete er, dass Grey die restlichen Stunden der kalten Dunkelheit hier ausharrte. Grey rutschte beklommen auf dem harten Holz hin und her und stellte fest, dass er sich nicht zum Gehen überwinden konnte.

    Er erschauerte, dann ergab er sich in sein Schicksal und hüllte sich fester in seinen Umhang. Die Kälte des Steinbodens drang durch seine Pantoffeln; seine Füße wurden schon taub. Er dachte an Fraser in seinem Hemd und erschauerte erneut bei dem Gedanken, die bloße Haut gegen den eisigen Stein zu drücken.
    Respekt hatte Fraser gesagt. Es war eine solch außergewöhnliche Geste, dass sie Grey nicht besonders respektvoll erschien. Was, so fragte er sich, wäre wohl geschehen, wenn er tatsächlich auf den Mann getreten wäre? Er hatte den überwältigenden Eindruck immer noch nicht abgeschüttelt, den Frasers Gegenwart auf ihn gemacht hatte, hünenhaft und kalt wie Stein, und er verscheuchte den flüchtigen Gedanken, wie sich diese eiskalte Haut wohl angefühlt hätte, wenn er sie berührt hätte. Rastlos stand er auf und trat vor, wie eine Motte angezogen vom schimmernden Weiß des Sarges.
    Das Ganze war wohl eher ein Überbleibsel aus dem Mittelalter, dachte er und prustete. Sein Atem hing weiß in der dunklen Luft. Diese katholischen Gestalten, die barfuß durch Paris gelaufen waren oder sich als Akt der Buße blutig geißelten.
    Ein Akt der Buße.
    Er spürte, wie die Worte in seinem Kopf an ihre Plätze rückten wie der Mechanismus eines Schlosses. Erinnerte sich an sein Gefühl, dass der Schmerz der Dunsanys mit einem Hauch von Beklommenheit versetzt war.
    »Oh, Geneva«, sagte er leise.
    Wieder sah er diese Vision, wie sie vor seinem Fenster schwebte, blass, mit großen Augen, verloren in der Nacht. So kalt und ganz allein.

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