Die Sünde der Brüder
deshalb mit dem Leben davongekommen, weil Bates an einer schlammigen Stelle ausgerutscht ist, sodass der Dummkopf um Hilfe rufen konnte. Adams wurde verletzt, und Bates ist natürlich entwischt, aber sie haben ihn gestellt - anscheinend hat er versucht, sich nach Irland abzusetzen.«
»Ja, mir ist zu Ohren gekommen, dass er eine irische Mätresse hat.«
Hal sah ihn blinzelnd an.
»Wirklich? Wer hat dir denn das erzählt?«
Grey begriff, dass es unhöflich sein würde, seine Unterredung mit Minnie preiszugeben, und so zuckte er nur mit den Achseln, als sei dies ein allgemein verbreitetes Gerücht.
»Wer hat dir all das erzählt?«
»Harry. Hat es wahrscheinlich von seinem Halbbruder Joffrey.«
»Wohl eher von Lady Joffrey«, merkte Grey an, und Hal pflichtete ihm bei, indem er eine Grimasse zog.
Ein plötzliches Knirschen ließ Greys Kopf herumfahren. In der Ecke stand ein großer Holzschrank, von dem er bis jetzt vermutet hatte, dass er zu Mr. Beasleys fruchtlosen Versuchen zählte, so etwas wie Ordnung in Hals Amtsstube zu bringen. Die Türen des Möbelstücks schwangen langsam auf, um im
Inneren eine Figur preiszugeben, und er ließ mit einem Ausruf die Hand an seinen Dolch fahren.
»Keine Angst.« Hal war immer noch gereizt, aber seine Stimme war mit einem Hauch von Belustigung versetzt. »Es ist nur ein Automat.«
Das war inzwischen offensichtlich; der Schrank enthielt eine lebensgroße Figur, oder vielmehr die Hälfte einer lebensgroßen Figur; sie endete an der Taille, und der untere Teil des Schrankes enthielt vermutlich den Uhrwerksmechanismus, dessen Surren Greys Aufmerksamkeit erregt hatte. Als er näher trat, um das Konstrukt genauer zu betrachten, stellte er fest, dass die Figur aus Wachs, Holz und Metall bestand und in schreienden Farben so bemalt war, wie es der gängigen Vorstellung eines Inders entsprach, bis hin zu den kajalumrandeten Augen, den roten Lippen und einem hauchzarten Turban.
Er streckte den Arm aus, um sie zu berühren, und riss die Hand zurück, als die Maschine ein lautes Scheppern von sich gab. Die Figur beugte sich auf unheimliche Weise zu ihm vor, doch dann stellte sich heraus, dass sie nur mit steifer Hand in ein Gefäß langte, das vor ihr stand. Scheppern und Surren, eine lange Pause… und die Figur nahm ruckartig ihre Ursprungshaltung wieder ein, während einer ihrer Arme so abrupt aufwärtsschwang, dass er beinahe Greys Gesicht getroffen hätte.
»Was zum Teufel?«
»Es ist ein Hellseher«, sagte Hal überflüssigerweise. Inzwischen war er deutlich belustigt.
»Das sehe ich.« Die metallenen Finger der Figur hielten ihm ein zusammengefaltetes Stück Papier entgegen, das er vorsichtig entgegennahm und öffnete.
» Die größte Gefahr könnte in deiner eigenen Dummheit liegen «, las er. Er faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn zurück in das Gefäß. »Sehr hübsch. Woher in aller Welt hast du ihn?«
»Sergeant-Major Weems hat ihn von den O’Higgins-Brüdern konfisziert«, sagte Hal. »Und ihn hier deponiert, bis er herausfinden kann, wem sie ihn gestohlen haben.«
»Man sollte doch meinen, dass es nicht schwer sein kann, den Besitzer ausfindig zu machen.« Grey umwanderte das Schränkchen, um es zu betrachten. Es war zwar zerkratzt und sichtlich gebraucht, ursprünglich aber sehr gute Arbeit.
Hal zuckte mit den Achseln.
»Sie behaupten, sie hätten ihn beim Würfelspiel gewonnen.«
»Nun ja.« Grey wandte sich von dem Automaten ab und setzte sich. »Du sagst, es ist den Verschwörern gelungen, Papiere nach Frankreich zu befördern?«
»Adams sagt, ja. Während er sich am Fluss mit Bates vergnügt hat, sind Otway und Jeffords offensichtlich bei ihm eingebrochen und haben seinen Tresor ausgeraubt, der ungefähr fünfzehntausend Pfund enthielt: Eigentum Seiner Majestät, das am nächsten Tag den Zahlmeistern zweier Regimenter übergeben werden sollte, die nach Frankreich abkommandiert sind. In der darauf folgenden Aufregung haben einige Ämter in Whitehall festgestellt, dass bei ihnen ebenfalls diverse wichtige Papiere fehlten - obwohl ich persönlich den Verdacht habe, dass sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt haben und ihre schlampige Buchführung hinter dieser sogenannten Verschwörung verstecken.«
»Ziemlich geschäftstüchtig für eine Bande von Sodomiten«, stellte Grey fasziniert fest. »Was sollen sie denn mit dem Geld vorgehabt haben - unsittliche Orgien?«
»Weiß der Himmel. Die letzte Zeitung, die ich gelesen habe, hat
Weitere Kostenlose Bücher