Die Sünde der Brüder
und er ging gefährliche Risiken ein, weil er absolut darauf vertraute, Hals Schwertspitze dennoch entwischen zu können. Er sah eine Gelegenheit, fiel mit einem lauten Ausruf in einen Ausfallschritt, und seine stumpfe Rapierspitze traf Hal am Oberschenkel und glitt über den Stoff seiner Hose.
»Himmel!«, sagte Hal und hieb nach seinem Kopf.
Er duckte sich lachend und tauchte wieder auf wie ein Schachtelteufel. Dann griff er nach der Spitze seines Rapiers, sodass sich die Klinge zwischen seinen Händen bog, ließ los, und sie fuhr klirrend so heftig gegen Hals Klinge, dass diese einen Ruck tat.
Er hörte Berculi auf Italienisch fluchen, hatte jedoch keine Aufmerksamkeit für ihn übrig. Hal wehrte sich jetzt heftig und hieb so auf seine Klinge ein, dass beide Waffen hätten zerbrechen können. Blitzartig sprang er vor und fuhr überraschend mit dem Arm an Hals Arm entlang, sodass sie in einer Umarmung auskamen, die Schwertarme verschränkt und die Klingen gekreuzt, die Körper aneinandergepresst, dicht an dicht.
Mit entblößten Zähnen grinste er Hal durch das Gitter hindurch an und sah den Funken im Auge seines Bruders. Doch er war schneller und riss sich als Erster los, sodass Hal für eine Sekunde das Gleichgewicht verlor. Instinktiv nahm er die Position
einer perfekten Passata sotto ein und presste Hal seine Schwertspitze an die Kehle.
» Touché «, sagte er leise.
Hal ließ die Hände sinken und stand einen Moment mit baumelndem Rapier da, während seine Brust nach Atem rang. Dann nickte er.
» Je me rends «, sagte er schroff. Ich ergebe mich.
Grey ließ die Schwertspitze sinken und verbeugte sich vor seinem Bruder, doch sein Blick hing an Percy. Percy hatte mit seiner eigenen Übung aufgehört, um zuzusehen, und stand an der Wand. Seine Augen waren weit aufgerissen vor Schreck - und, so hoffte Grey, vor Bewunderung.
Signor Berculi hatte sich die Perücke vom Kopf gerissen und knetete sie aufgeregt.
»Ihr!«, sagte er und wedelte damit in Greys Gesicht herum. » Nie dürft Ihr das tun! Gehörte sich das nicht! Insano seid Ihr. Aber gut«, fügte er hinzu. Dann trat er ein wenig zurück und betrachtete Grey von Kopf bis Fuß, als hätte er ihn noch nie gesehen. Er nickte und spitzte wissend die Lippen. »Sehr gut sogar.«
Hal rieb sich Kopf und Hals mit einem Handtuch ab. Er war rot geworden, schien aber wundersamerweise eher belustigt als wütend zu sein.
»Was sollte das denn?«, fragte er.
»Angeberei für den neuen Bruder«, erwiderte Grey mit einer beiläufigen Handbewegung in Percys Richtung. Auch er wischte sich mit dem Ärmel über das Kinn. Er war schweißnass; Hemd und Hose klebten ihm am Körper, und seine Muskeln zuckten und zitterten.
»Noch eine Runde gefällig?«
Hal warf ihm einen Blick zu.
»Oh, lieber nicht«, sagte er. »Ich muss zu einer Besprechung.« Er sah Percy an und warf ihm das Rapier zu. »Hier, versucht Ihr es, Wainwright. Ich habe ihn für Euch weichgekocht.«
Percy klappte der Mund auf, und Signor Berculi brach in
sardonisches Gelächter aus. Percy drehte das Schwert langsam in den Händen, ohne den Blick von Grey abzuwenden.
»Soll ich?«
Grey hämmerte der Puls nach wie vor in den Ohren, und etwas Aufregendes stieg an seinem Rücken hinauf wie Champagnerbläschen in einem Glas.
»Natürlich, wenn Ihr möchtet. Macht Euch keine Sorgen«, sagte er mit einer tiefen Verbeugung vor Percy.
»Ich werde sanft sein.«
Eine Stunde später verabschiedeten sich Grey und Wainwright von Signor Berculi und seiner Salle des Armes und steuerten Neal’s Yard an, wo eines von Greys bevorzugten Speiselokalen ein blutiges Steak mit Röstkartoffeln und der speziellen Pilzsoße des Kochs anbot - eine verlockende Aussicht für hungrige Mägen.
Grey war sich absolut bewusst, dass die Anstrengung des Vormittags mehr als nur eine Art von Appetit angeregt hatte. Die Kunst des Schwertkampfes verlangte, dass man den Körper seines Gegners haargenau beobachtete, seine Absichten an der Art erkannte, wie er das Gewicht verlagerte oder das Auge zukniff, und nach Schwächen suchte, die man ausnutzen konnte. Er hatte jeden Atemzug verfolgt, den Percy Wainwright in der letzten Stunde getan hatte, und er wusste verdammt gut, wo Percys Schwäche lag - und seine eigene.
Das Blut rauschte ihm angenehm in den Adern, immer noch erhitzt von der Anstrengung. Der Tag war sonnig mit einem kühlen Windhauch, der den Schweiß trocknete und seine warme Haut liebkoste, und der Nachmittag lag
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