Die Sünde der Brüder
Teufel hast du angestellt, John?«, fragte seine Mutter knapp.
Es führte kein Weg daran vorbei. Das hatte er nun davon, dachte Grey grimmig, dass er die Gefühle seiner weiblichen
Verwandtschaft schonen wollte, die ihn gerade jetzt zu zweit anstarrte, als sei er irre geworden.
Die Gräfin lauschte seinem kurzen Bericht - Mrs. Tomlinson und seinen Besuch in Newgate ließ er sorgsam aus -, dann ließ sie sich langsam auf einen Stuhl sinken, stützte den Ellbogen zwischen dem Frühstücksgeschirr auf die Tischplatte und ließ den Kopf in die Hände sinken.
»Das glaube ich einfach nicht«, sagte sie mit schwach gedämpfter Stimme. Ihre Schultern begannen zu beben. Sir George warf Grey einen erschütterten Blick zu, bewegte sich zögerlich auf sie zu, hielt dann aber inne, weil er sich sichtlich unsicher fühlte, ob sie seinen Tröstungsversuch wohlmeinend aufnehmen würde. Derlei Hemmungen waren Olivia fremd.
»Tante Bennie! Liebes, du darfst dich nicht aufregen; Johnny ist doch nichts passiert, Aber, aber …« Olivia blieb einen Moment hinter der Gräfin stehen und klopfte ihr auf die Schulter. Dann beugte sie sich dichter über sie, und ihre zartfühlende Miene verschwand plötzlich.
»Tante Bennie!«, sagte sie vorwurfsvoll.
Benedicta Gräfin Melton setzte sich gerade hin, griff nach einer Serviette und tupfte sich die Tränen ab, die sich jetzt eindeutig als Lachtränen entpuppten.
»John, du bringst mich noch ins Grab«, sagte sie atemlos und betupfte sich die Augen. »Was in aller Welt hattest du in Tyburn zu suchen?«
»Ich war gerade in der Nähe«, sagte er steif, »und habe Halt gemacht, um zu sehen, was dort vor sich ging.«
Sie warf ihm einen zutiefst ungläubigen Blick zu, widersprach ihm aber nicht. Stattdessen wandte sie sich an Sir George, der den Blick seit ihrem Auftauchen keine Sekunde von ihr abgewendet hatte.
»Ich bin Euch eine Entschuldigung schuldig, Sir George«, sagte sie. Sie holte tief Luft. »Und vermutlich wohl auch eine Erklärung.«
»Oh, nein, meine Liebe«, sagte der General leise. »Ihr seid mir gar nichts schuldig. Nie im Leben.« Doch er konnte seine
Rührung nicht verbergen, und sie erhob sich und trat rasch zu ihm, um seine Hand zu ergreifen.
»Es tut mir so leid«, sagte sie leise, aber deutlich. »Willst du mich immer noch heiraten, George?«
»Oh, ja«, sagte er, und ohne seinen gefesselten Blick von ihrem Gesicht zu lösen, hob er ihre Hand an seine Lippen und küsste sie.
»Das freut mich«, sagte sie. »Aber ich werde nicht darauf beharren, falls du es dir infolgedessen, was ich euch jetzt erzähle, anders überlegst.«
»Benedicta, ich würde dich auch bankrott und im Hemd nehmen«, sagte er lächelnd. Seine Mutter erwiderte sein Lächeln, und Grey räusperte sich.
» Was genau willst du uns erzählen?«, sagte er.
»Wage es nicht, meine Gutmütigkeit auf die Probe zu stellen«, sagte seine Mutter, die sich nun umwandte und ihn stirnrunzelnd ansah. »Zum Teil ist das alles deine Schuld … uns schwachsinnige Lügen über Zusammenstöße mit Postkutschen zu erzählen. Ich dachte, du versuchst, die Tatsache zu verschweigen, dass du noch einmal überfallen worden bist. Grundlos meine ich.«
»Ist das so«, sagte Grey gereizt. »Von einer mordlustigen Menge attackiert zu werden, ist nicht so schlimm, ein zufälliger Überfall durch einen Straßenräuber aber schon?«
»Das hängt ganz davon ab, ob der Überfall auf dich und Percival Wainwright tatsächlich Zufall war «, sagte die Gräfin. »Müssen wir hier wirklich inmitten von kaltem Toast und Heringsgräten stehen, oder können wir uns an einen zivilisierteren Ort begeben?«
Nachdem sie sich in den Salon begeben hatten und man sie mit Kaffee versorgt hatte, nahm die Gräfin neben Sir George auf dem Sofa Platz, legte ihm die Hand auf den Arm und sah Grey an.
»Nach dem Tod deines Vaters«, sagte sie, »habe ich mich für einige Zeit nach Frankreich zurückgezogen. Nach meiner
Rückkehr nach England hat man mir innerhalb eines Monats drei Heiratsanträge gemacht. Alle drei waren Männer, die ich im Verdacht hatte, in den Skandal verwickelt zu sein, der deinen Vater das Leben gekostet hat. Natürlich habe ich sie alle abgewiesen.«
Der General war bei diesen Worten erstarrt, und das Glück über seine erneuerte Verlobung schwand aus seinem Gesicht.
»Wer hat dir diese Heiratsanträge gemacht?«, fragte Grey, bevor der General es tun konnte. Seine Mutter sah ihn weiter an.
»Ich ziehe es vor,
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