Die Sünde der Brüder
dir das nicht zu sagen«, sagte sie knapp.
»Sagst du es mir denn auch nicht, Benedicta?« Der Ton des Generals lag irgendwo zwischen Entrüstung und Flehen.
»Nein«, sagte die Gräfin gereizt. »Es ist ganz allein meine Sache, und ich möchte nicht, dass ihr beide - oder wohl besser ihr drei, weil einer von euch es mit Sicherheit Melton erzählen und damit endgültig für Aufruhr sorgen würde - in Dingen herumstochert, die man besser ruhen lässt. Vielleicht ist es ja gar nichts - das hoffe ich zumindest sehr. Doch falls irgendjemand Unheil aushecken sollte , will ich gewiss nicht, dass es noch verschlimmert wird.«
Sir George schien ihr widersprechen zu wollen, doch es gelang Grey, seinen Blick auf sich zu lenken, woraufhin er nachgab, obwohl sein Gesicht deutlich sagte, dass er nur vorübergehend gute Miene zum bösen Spiel machte.
»Hatten die Tagebuchseiten irgendetwas mit diesen Männern zu tun?«, fragte Grey. »Jemand hat meinem Bruder eine Seite aus dem Tagebuch meines Vaters auf den Schreibtisch gelegt«, erklärte er dem General und Olivia. »Und wie ich glaube, hat man dir ebenfalls eine geschickt, Mutter?«
»Wie du so schlau herausgefunden hast, ja«, sagte seine Mutter immer noch gereizt. »Keine der beiden Seiten hat in irgendeinem Bezug zu einem dieser Männer gestanden, nein. Aber dein Vater hat hin und wieder mit mir über diese Dinge gesprochen; ich weiß, dass er mindestens zwei von ihnen im Verdacht hatte. Daher bestand natürlich die Möglichkeit, dass
er diesen Verdacht - vielleicht sogar mit Beweisen, die ihn bestätigen - in seinem Tagebuch niedergeschrieben hat.«
»Denn natürlich ist das Tagebuch nach seinem Tod verschwunden«, sagte Grey kopfnickend. »Weißt du, wann es gestohlen worden ist?«
Die Gräfin schüttelte den Kopf. Sie trug ein einfaches Kalikokleid, doch ihr Haar war noch nicht frisiert. Sie war errötet, und es wunderte Grey gar nicht, dass der General von ihr hingerissen war; sie war müde und angestrengt, doch für ihr Alter war sie unleugbar eine Schönheit.
»Es ist mir nie in den Sinn gekommen nachzusehen. Es hat … einige Zeit gedauert, bis ich mich in der Lage gefühlt habe, irgendeines seiner - eines von Pardloes Tagebüchern zu lesen. Selbst dann dachte ich, dass du oder Melton es wahrscheinlich ausgeborgt hast. Wer sollte sonst Interesse daran haben?«
»Ein Mann, der glaubte, er würde unvorteilhaft darin erwähnt«, sagte Grey. »Warum zum Teufel verstreut er es jetzt seitenweise in der Gegend?«
»Um uns zu zeigen, dass er es hat«, erwiderte seine Mutter prompt. »Was das Warum angeht… Ich war davon ausgegangen, dass es die Ankündigung meiner Heirat mit George war, die diesen Vorgang ausgelöst hat.«
Sir George fuhr zusammen, als hätte sie ihm eine Hutnadel ins Bein gestochen.
»Was?«, sagte er ungläubig. »Warum?«
Man konnte dem feinknochigen Gesicht der Gräfin die Folgen ihrer wahrscheinlich schlaflosen Nacht gut ansehen, doch in ihrem Mundwinkel blitzte der ironische Humor auf.
»Es mag ja so sein, dass du mich auch im Hemd nehmen würdest, mein Lieber. Damals hatte ich aber nicht das Gefühl, dass die Anträge, die man mir machte, auf dem Verlangen nach meiner Person beruhten. Also konnte es nur um zwei Dinge gehen: um mein Geld und meine Stellung … oder um die Möglichkeit, dass ich angesichts dessen, was ich möglicherweise wusste, eine Bedrohung für die fraglichen Herren darstellte.«
Grey rieb sich die Bartstoppeln an seinem Kinn. Das Geld
und die Stellung der Gräfin waren nicht zu verachten; ihre Verbindungen nach Schottland waren zwar nach dem South-Sea -Skandal und den beiden fehlgeschlagenen Aufständen nicht mehr so bedeutend wie einst, doch die Armstrongs waren immer noch eine einflussreiche Familie.
»War es denn möglich, dass einer der Herren durch deine Besitztümer versucht war?«, fragte Grey.
»Es gibt wohl nur relativ wenige Männer, die das nicht wären«, warf Olivia überraschend zynisch ein. »Mir sind noch nicht viele Männer begegnet, die so reich sind, dass sie nicht glauben, noch mehr zu brauchen.«
Olivia war zwar jung, aber nicht dumm, sinnierte Grey. Und ihre geplatzte Verlobung mit einem Kaufmannsprinzen aus Cornwall namens Trevelyan schien ihr zwar keinen dauerhaften Schaden zugefügt zu haben, doch offensichtlich hatte diese Affäre sie das eine oder andere über den Lauf der Welt gelehrt.
Benedicta nickte Olivia beifällig zu.
»Wie wahr, meine Liebe. Es ist zwar so, dass einer der
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