Die Suende der Engel
abschieben lassen. Aber was sollte man tun in einer solchen Situation, wenn man nicht mit völliger Unbekümmertheit und einem großen, vorlauten Mundwerk gesegnet war?
Ich habe ja noch zwei Wochen, dachte Tina und stapelte ihre Wäsche in einer Kommodenschublade, vielleicht wird er irgendwann diese Reserviertheit aufgeben.
Das Haus, soweit sie es bisher gesehen hatte, gefiel ihr. Eine schlichte, ländliche Einrichtung, viel Holz, geblümte
Vorhänge, Blumentöpfe in den kleinen Fenstern. Die Blumen darin wirkten ein wenig matt und vermißten ganz offensichtlich eine regelmäßige Pflege, aber der mit der Wartung des Hauses beauftragte Franzose hatte sich zumindest ausreichend um sie gekümmert, um sie am Leben zu halten. Mario hatte ihn vor der Abreise angerufen und ihr Kommen angekündigt. Im Haus war Staub gewischt und gut gelüftet worden.
Sie hatten das Gepäck hineingetragen und zunächst im Gang gestapelt, dann hatte Mario Tina Wohnzimmer und Küche im Erdgeschoß gezeigt, drei kleine Zimmer und das Bad im ersten Stock, und dann war sie hinter ihm her die steile Treppe zum Dachgeschoß hinaufgestiegen. Es befand sich nur noch ein Zimmer hier oben, ein Kämmerchen mit schrägen Wänden, zwei kleinen Dachfenstern, einem Bett, einer Kommode und in die Wände eingelassenen Schränken. Über der Kommode hing ein alter Spiegel, davor standen eine porzellanene Waschschüssel und ein Krug. Beide waren mit einem verblichenen Rosenmuster verziert und zeigten zahlreiche Sprünge.
»Ihr habt so hübsche Sachen hier im Haus«, sagte Tina bewundernd, »es paßt alles so gut hierher!«
»Dafür ist meine Mutter verantwortlich«, erwiderte Mario. »Sie hat das Haus eingerichtet. Sie stöbert viel auf Flohmärkten herum, und da hat sie Dinge wie dieses Waschgeschirr gefunden.«
»Wirklich schön«, wiederholte Tina, und dann standen sie beide etwas unschlüssig herum.
»Ja«, sagte Mario schließlich, »ich bringe dir deinen Koffer herauf.«
»Wo ist dein Zimmer?« fragte Tina so harmlos wie möglich.
»Genau unter deinem«, sagte Mario. Dann verschwand er, brachte den Koffer, fragte, ob Tina noch Hunger oder
Durst habe. Als sie verneinte, hauchte er ihr einen Kuß auf die Stirn und wünschte ihr eine gute Nacht. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe und dann eine Tür unten ins Schloß fallen.
Sie packte alles aus, dann zog sie ihr Nachthemd und einen Bademantel an, nahm ihre Zahnbürste und stieg leise die Treppe hinunter. Vor Marios Zimmer verharrte sie einen Moment. Sie konnte keinen Laut hören, keinen Lichtschein sehen. War er so schnell ins Bett gegangen? Vielleicht hatte er gar nicht mehr ausgepackt und sich, wie er war, hingelegt. Er mußte am Ende seiner Kräfte sein nach so vielen Stunden hinter dem Steuer.
Tina ging ins Bad, putzte ihre Zähne und bürstete ihre Haare. Sorgsam knipste sie alle Lichter aus, ehe sie wieder in ihrem Zimmer verschwand. Die Bettwäsche roch ganz zart nach Lavendel. Es war schön hier, es würde eine gute Zeit werden.
Sie fühlte sich sehr zuversichtlich, als sie in die tiefen Kissen sank, und das letzte, was sie dachte, war: Wie gut, daß ich es durchgesetzt habe, diese Reise zu machen!
Dann schlief sie von einem Moment zum anderen ein.
Es lag Janet schwer im Magen, daß sie sich mit Andrew gestritten hatte. Vor allem, da ihr im Laufe der Nacht aufgegangen war, daß sie allein die Schuld an der Auseinandersetzung trug. Andrew hatte mit Recht nach ihren weiteren Plänen gefragt. Und es war auch kein Verbrechen von ihm gewesen, sich nach ihren Söhnen zu erkundigen, danach, ob es in dieser Richtung irgendein Problem gab. Es bewies nur sein gutes Gespür für Menschen, seine Instinktsicherheit, mit der er Schwachpunkte fand. Eine Fähigkeit, die Janet schon früher an ihm aufgefallen war, die er sicher aber in seinen Jahren bei Scotland Yard noch vervollkommnet hatte.
Janet hatte sich schlafend gestellt, als er sehr spät in der Nacht ins Bett gekommen war; ebenso tat sie es am Morgen, als er aufstand. Sie hörte, wie er ins Bad ging, dann ins Schlafzimmer zurückkam und sich, so leise er konnte, anzog. Janet war gerührt von der Mühe, die er sich gab, sie nicht zu wecken, und zweimal war sie dicht daran, sich aufzusetzen und ihm zu sagen, daß es ihr leid tat. Aber dann konnte sie sich doch nicht dazu entschließen und blieb liegen, bis er die Wohnung verlassen hatte und sie von der Straße her sein Auto anspringen hörte. Sie stand auf und dachte, daß sie ein
Weitere Kostenlose Bücher