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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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lassen. Nun schritt er langsam die Stufen herunter. Grell flammten unzählige Blitzlichter auf. Paul reckte Corvey ein Mikrophon entgegen.
    »Mr. Corvey«, rief er, »was geht in Ihnen vor? Rechnen Sie mit einem Freispruch?«
    Corvey antwortete nicht, lächelte nur.
    »Keine Fragen!« rief der Polizist neben ihm. »Und machen Sie Platz! Gehen Sie bitte aus dem Weg!«
    Corvey war jetzt auf der Höhe von Janet angelangt. Abrupt blieb er stehen, wandte den Kopf und sah sie an.
    Janet konnte den Blick nicht abwenden, sie starrte ihn an. Ihr Mund wurde trocken, sie konnte nicht schlucken, in ihren Ohren rauschte es. So harmlos und unscheinbar er ihr gerade noch erschienen war, so heftig entsetzten sie nun seine Augen. Dunkelbraune Augen, stumpf, ohne ein Schillern in der Tiefe. Augen von einer vollkommenen
Ausdruckslosigkeit und Kälte. Nicht ein einziges Gefühl stand in ihnen zu lesen. Es waren die Augen eines Psychopathen.
    Und Janet wußte in diesem Moment, daß er es getan hatte. Er war für jeden der ihm unterstellten Morde verantwortlich, und womöglich noch für ein Dutzend weitere. Es gab keinen Zweifel. Auf einmal verstand sie Andrews hilflose Wut, und zugleich fühlte sie ein tiefes, schmerzvolles Mitleid mit all den Opfern dieses Mannes: Was empfand eine Frau, die gewaltsam sterben und dabei in diese Augen blicken mußte?
    Corvey grinste. Er hatte instinktiv begriffen, was in ihr vorging, und bemerkte, daß sie mit einer Aufwallung von Übelkeit kämpfte. Das gefiel ihm. Es machte die ganze Sache noch etwas pikanter.
    Er ging weiter, während einer seiner Anwälte versuchte, die sich ihm entgegendrängenden Mikrophone beiseite zu schieben, und gleichzeitig hektisch erklärte, es sei im Augenblick von niemandem ein Kommentar zu dem Fall zu erwarten. Natürlich versuchten sie alle trotzdem, ihre Fragen loszuwerden und eine Antwort zu ergattern, und schließlich machte Corvey den Mund auf, aber nur um zu sagen, daß er nichts sagen werde.
    Seine Stimme überraschte Janet. Sie hatte sie sich kranker, heller, ein wenig hysterisch vorgestellt. Aber sie war warm und tief und sehr klangvoll. Eine schöne, vertrauenerweckende Stimme. Doch dann dachte Janet, daß es im Grunde nicht verwunderlich war. Irgend etwas mußte dieser Mann an sich haben, daß ihm so viele Frauen so bereitwillig auf den Leim gegangen waren. Und das war es. Die Stimme stellte sein Kapital dar. Sie erweckte Zuneigung und zerstreute aufkeimenden Argwohn.
    Die Pressemeute strömte nun hinter Corvey her ins
Freie, wo ein Auto auf ihn wartete. Andrew tauchte plötzlich neben Janet auf und nahm ihren Arm.
    »Was tust du denn hier?« Er sah blaß und sehr müde aus.
    Janet gab ihm einen Kuß. »Ich wollte zu dir«, sagte sie einfach.
    Er schien sich zu freuen, aber sein Gesicht verlor nicht den Ausdruck von Angespanntheit. »Hättest du Lust, irgendwo etwas zu essen?« fragte er.
    »Ja. Andrew - er ist noch nicht freigesprochen!« Andrew nickte. Er wirkte müde und abgekämpft. »Ich weiß. Aber ich fürchte fast, daß es zu einem Freispruch kommen wird, und ich kann dir nur sagen, im Moment fühle ich mich deswegen ziemlich elend.«
    Sie traten ins Freie. Die warme Luft des hellen Junitages tat gut nach der dumpfen Kühle in dem alten Gemäuer. Während sie die Straße überquerten, sagte Janet schaudernd: »Ich habe seine Augen gesehen. Ich weiß jetzt, daß er es getan hat.«
    »Ja«, meinte Andrew, »aber der Ausdruck in den Augen eines Menschen hat leider keinerlei Beweiskraft vor Gericht.«
    »Was glaubst du, wird er tun, wenn er freigesprochen ist?«
    »Er wird zunächst sehr vorsichtig sein. Ich bin sicher, er weiß, daß ich mich noch nicht geschlagen gebe.«
    »Du kannst ihn aber nicht Tag und Nacht beschatten lassen, oder?«
    »Dafür wird man mir kaum die Leute bewilligen. Viel zu teuer.«
    Sie hatten ein kleines, italienisches Lokal erreicht und traten ein. Andrew war offensichtlich bekannt und wurde freundlich begrüßt. Sie bekamen einen Ecktisch zugewiesen, von dem aus sie den ganzen Raum überblicken konnten.
Während sie die Speisekarten studierten, betrat eine ältere Frau das Restaurant, gefolgt von einem jungen Mann, der außerordentlich gestreßt schien. Die Frau wirkte hilflos und unsicher, blieb verloren stehen und wünschte sich sichtlich an einen anderen Ort.
    »Sieh mal an«, sagte Andrew leise, »da ist ja Mrs. Corvey. Fred Corveys Mutter!«
    Janet, die der Fremden zunächst nur flüchtige Beachtung geschenkt hatte, blickte

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