Die Suende der Engel
haben Sie recht.«
»Bestimmt habe ich das. Ich sage Ihnen, bald halten Sie Ihre Tina wieder im Arm und verstehen gar nicht mehr, weshalb Sie so nervös waren. Soll Dana Sie noch einmal anrufen?«
»Danke, das ist nicht nötig. Ich wollte mit ihr noch einmal über Mario sprechen, aber das nützt ja auch nichts.«
»Vergessen Sie Ihre Tochter mal, legen Sie sich in die Sonne und machen Sie sich einen schönen, faulen Tag«, riet Karen.
Michael überlegte, wann er sich zuletzt einen »faulen Tag« gemacht hatte, aber es fiel ihm nicht ein. Für diese Frau, dachte er, ist es sicher ein vielerprobtes Heilmittel.
Laut sagte er: »Verzeihen Sie bitte die Störung. Und«, ihm fiel plötzlich noch etwas ein, »reden Sie Dana die Idee aus, per Autostopp hinter Tina herzufahren. Das hatte sie nämlich gestern abend vor.«
»O Gott, das wäre sicher das letzte, was sich Tina und Mario jetzt wünschen!«
»Ich dachte dabei auch an Dana. Was sie da plant, ist viel zu gefährlich. Jährlich werden...«
Karen ließ ihn nicht ausreden. »Dana ist alt genug, um zu wissen, was sie tut. Aber ich danke Ihnen für den Hinweis.« Ihr Ton gab deutlich zu erkennen, daß sie Michael für ziemlich spießig und obendrein für einen Einmischer hielt. Er begann ihr auf die Nerven zu gehen. Genau der Typ, der einem das Jugendamt auf den Hals hetzte, wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht oder etwas Ähnlichem. Wie gut, daß Dana achtzehn war! Da konnte einer wie dieser penetrante Staatsanwalt kein Theater mehr machen.
Nachdem sie beide - etwas frostig - das Gespräch beendet hatten, konnte sich Michael nicht zurückhalten, erneut die französische Nummer, die er nun schon auswendig kannte, zu wählen.
Auch diesmal meldete sich niemand.
Seit Stunden ging er im Kreis herum, lief von einer Wand seines Zimmers zur anderen, trat ans Fenster und schaute hinaus, ging zur Tür, wollte sie öffnen und fortlaufen vor den Gedanken, die ihn zu ersticken drohten, zog seine Hand jedoch immer wieder zurück, weil er wußte, daß es kein Entkommen gab, nicht vor den Bildern in seinem Kopf.
Maximilian sah Janet in den Armen von Andrew Davies.
Seitdem sein Bruder die Vermutung ausgesprochen hatte, Janet habe Davies aufgesucht, wußte Maximilian, daß es stimmte. Er wußte es deshalb, weil er das, was die beiden so untrennbar aneinander fesselte, gespürt, mit all seinen Antennen aufgenommen hatte, noch ehe er etwas davon hatte wissen können. Er hatte als Kind keine Ahnung gehabt von Empfindungen wie Begehren, Leidenschaft, Hörigkeit, und doch hatte er um die obsessive Gier seiner Mutter nach Andrew Davies gewußt. Und nachdem die Bilder jahrelang tief in ihm vergraben geschlummert hatten, so friedlich, als könnten sie tatsächlich irgendwann in Vergessenheit geraten, standen sie nun hellwach wieder vor ihm, starrten ihn an, als sei nicht ein Tag seit damals vergangen.
Er sah das halbdunkle Zimmer wieder vor sich. Die Fenster waren geschlossen worden - diskretes Zugeständnis an die Schamhaftigkeit möglicher unfreiwilliger Zuhörer -, aber da sie den ganzen Tag offengestanden hatten, war der Raum noch erfüllt von frischer, kühler
Regenluft. In seiner Erinnerung roch es stets nach Regen, dabei konnte es nicht immer geregnet haben, wenn es Janet und Andrew miteinander trieben. Aber die Vergangenheit hatte ihre eigenen Gesetze, nach denen sie Wurzeln im Gedächtnis schlug, und die waren nicht immer einer exakten Stimmigkeit verpflichtet.
Es hatte also geregnet, und es roch nach feuchtem Moos, Laub und nasser Rinde. Die Jalousien waren nicht hinuntergelassen, aber die Vorhänge zugezogen worden. Manchmal brannten ein paar Kerzen.
Andrew Davies war groß, größer als Phillip, und sicher schwerer, obwohl er sehr schlank war. Wie hielt es die zierliche Janet aus, daß er auf ihr lag? Zumal er nicht stillhielt dabei. Zuerst preßte er sich auf sie, vergrub sein Gesicht in ihren langen Haaren, die sich über das Kopfkissen verteilten, aber seine Hüften hoben und senkten sich, und Janet stöhnte leise. Er tat ihr weh, dieser Mann, warum wehrte sie sich nicht? Der kleine Junge fing an zu zittern, und noch heute, Jahre später, zitterte er in der Erinnerung. Sie flüsterte Worte, deren Bedeutung er damals nicht begriffen hatte, die er heute aber verstand und die ihm die Schamröte in die Wangen trieben. Worte, die Andrew Davies aufforderten, härter, schneller, rücksichtsloser auf ihr herumzureiten, als er es ohnehin schon tat. Davies
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